Wie lange würde ich es in einer fremden Stadt, in einem fremden Land, mit der Angst vor einem erneuten Lockdown und damit gestrandet zu sein, aushalten? Da stand ich also am Abflugschalter des Flughafens von Delhi und war fest entschlossen, einen Monat in Russland zu verbringen. Die Bilder und Videos von strengen Gesundheitskontrollen, Tests und Rückverfolgung und dergleichen gingen mir nicht aus dem Kopf, als das Flugzeug im Morgengrauen in Moskau landete. Alle ausländischen Passagiere mussten eine Gesundheitserklärung ausfüllen und wurden darauf hingewiesen, dass wir nach der Einreisekontrolle auf Covid-19 getestet werden müssten. Beim Verlassen des Flugzeugs war ich mental darauf vorbereitet, einen Beamten in Schutzausrüstung bei der Passkontrolle zu sehen, mehrere Kontrollen und ein langwieriges Testverfahren, aber nichts von alledem passierte.
Die Grenzbeamten waren ohne Maske. Als ich nach der Einreise meine Gesundheitserklärung abgab, teilte mir der junge und freundliche Beamte mit, dass ich keinen weiteren Test machen müsse, da ich bereits einen vor meinem Flug gemacht habe. Bei der Gepäckausgabe trug niemand eine Maske und niemand störte sich daran.
Weniger Gedränge in Moskau
Ob auf den Hauptverkehrsstraßen im Stadtzentrum oder in der Metro, Moskau wirkte viel weniger überlaufen. Viele Unternehmen haben ihren Mitarbeitern die Möglichkeit gegeben, von zu Hause aus zu arbeiten, und jeder meiner Freunde hat dieses Angebot dankend angenommen. Diejenigen, die in leitenden Positionen tätig sind, erzählten mir, wie viel produktiver ihre Mitarbeiter sind, seit sie keinen ein- bis zweistündigen Arbeitsweg mehr haben.
Die einzige auffällige Veränderung auf den Straßen Moskaus war die schiere Anzahl der Lebensmittelkuriere. Es war kaum möglich, zu Fuß zu gehen, ohne dass ein Lieferdienst auf einem Elektroroller an einem vorbeifuhr.
Als ich zur Metro zurückkehrte, fühlten sich die Waggons selbst zu der angeblich verkehrsreichsten Stunde viel weniger überfüllt an.
Maskieren oder keine Maske
Eigentlich besteht in allen öffentlichen Verkehrsmitteln eine Maskenpflicht, aber diese Regel schien in der Moskauer Metro weitgehend ignoriert zu werden. Einige trugen die Masken einfach als Kinnschutz. In den Bussen habe ich keine einzige Person mit einer Maske gesehen. Das ist vielleicht nicht die klügste Strategie. Abgesehen von dem Risiko, sich anzustecken, besteht die Gefahr, dass die Brieftasche von Maskenverweigerern um einiges leichter wird. Ich habe von überraschenden Razzien in der U-Bahn gehört, bei denen die Behörden jede einzelne Person ohne Maske in einem Waggon mit einem saftigen Bußgeld belegten.
Restaurants verlangen beim Betreten eine Maske, aber sobald ein Gast Platz genommen hat, wird die Maske abgenommen, und beim Verlassen des Lokals macht sich niemand die Mühe, ihn darum zu bitten, die Maske wieder aufzusetzen. Museen versuchen, die Maskenregel durchzusetzen. Ab einem gewissen Punkt jedoch schauen die Angestellten, die es selbst leid sind, Masken zu tragen, weg, wenn die Besucher ihre Masken abnehmen.
Der einzige Ort, an dem das Tragen von Masken in Russland strikt vorgeschrieben ist, ist das Innere eines Flugzeugs. Auf einem Flug von Moskau nach Sotschi fing ein Maskengegner an, über seine „verfassungsmäßigen Rechte“ zu lamentieren und weigerte sich, eine Maske aufzusetzen. Sobald das Flugzeug gelandet war, betraten drei Beamte das Flugzeug, um ihn zu verhaften.
QR-Codes
Die Versuche, im Sommer in Moskauer Restaurants ein QR-Code-System einzuführen, dauerten nicht allzu lange, da das Gastgewerbe viel Geld verlor. In der Woche vom 30. Oktober bis zum 7. November, die aufgrund eines Nationalfeiertags ein langes Wochenende umfasste, begannen jedoch viele Lokale in den russischen Regionen, von ihren Gästen einen QR-Code zum Nachweis der 3G-Regel (entweder geimpft, genesen oder innerhalb der letzten 72 Stunden negativ getestet) zu verlangen. In Moskau galt zu diesem Zeitpunkt ein „Lockdown light“.
Da ich mit einer indischen Impfbescheinigung und in Begleitung einer Impfgegnerin unterwegs war, rechnete ich mit Problemen. In Astrachan, Wolgograd und Sotschi konnten die Restaurants meinen QR-Code nicht scannen, ließen mich aber nach meiner Erklärung, geimpft zu sein, eintreten. Meiner Freundin riet man, sie solle sagen, dass sie sich im ersten Schwangerschaftsdrittel befinde und daher nicht geimpft werden könne. Andere Restaurants forderten sie auf, ihr Telefon auszuschalten und den Behörden im Falle einer Razzia einfach zu sagen, dass ihr Akku leer sei und sie ihnen den Code nicht zeigen könne (Russia Beyond billigt ein solches Verhalten nicht - Anm. d. Red.). Ausländischen Touristen wurde aber etwa in St. Petersburg der Zutritt zu Museen verweigert, da die dortigen Behörden sich weigerten, ihre Impfausweise zu akzeptieren.
Impfen oder nicht impfen?
Die Nachrichten und sozialen Medien waren voll von Berichten über zunehmende Fälle, Krankenhausaufenthalte und Todesfälle, aber vor Ort schien keine Panik zu herrschen. Man sagte mir, die Menschen hätten die Angst vor Covid-19 satt und hätten gelernt, mit der Pandemie zu leben.
Aber die Gesellschaft scheint in der Frage der Impfstoffe tief gespalten zu sein. In diesem Monat verging kein einziger Tag, an dem ich nicht über das Für und Wider von Impfstoffen hörte.
Viele langjährige Freundschaften sind an der Impf-Diskussion zerbrochen. Dies ist in der Tat ein sehr kontroverses Thema. Ein Freund, der sich wieder auf Partnersuche begeben wollte, zeigte mir einige Profile auf Apps, auf denen einige Frauen darauf bestanden, dass sie nur mit ungeimpften Personen ausgehen würden. Er sagte, es gäbe auch viele, die auf dem Gegenteil beharrten.
Komfort und persönliche Freiheit
Da ich aus einer paranoiden Gesellschaft komme, habe ich in diesem Herbst in Russland ein unglaubliches Gefühl der persönlichen Freiheit verspürt. Trotz des Zustands der Welt hatten sich die russische Gastfreundschaft und Offenheit nicht verändert. Dies war kein Land, in dem die Menschen sichtbare Ausländer als Träger einer neuen und potenziell gefährlichen Variante von Covid-19 betrachteten. Freunde, ob nun für oder gegen die Impfung, haben mich zu sich nach Hause eingeladen und niemand schien Angst zu haben, mich zu umarmen oder mir die Hand zu geben.