Schwarzer Kaviar in der Sowjetunion: Zahlungsmittel, Delikatesse, Lebensretter

Gennadij Koschkinzew; Wladimir Medwedew/TASS
Heutzutage gilt er als exklusive Delikatesse: frischer Beluga oder Stör-Kaviar. Gesalzen oder püriert wird er zu Champagner oder Wodka gereicht. Zu Sowjetzeiten war er dagegen durchaus erschwinglich und sogar ein Lebensretter.

1. Kaviar als Zahlungsmittel

Während des Esten Weltkrieges war die Störfischerei nicht wichtig, daher wurde weniger gefangen und die Fischpopulation wuchs. In der Folge erlebte die Kaviarproduktion in den Nachkriegsjahren einen Aufschwung. In den 1920er und 30er Jahren gab es Kaviar an allen Ecken und Enden zu günstigen Preisen.

Der Export dieses „schwarzen Goldes” trug dazu bei, dass die Industrialisierung der Sowjetunion unerwartet schnell voranschritt.

Kaviar stand auf Platz zehn der meistexportierten Waren, nach Holz, Öl, Pelzen usw. Pawel Sjutkin, Autor von „Wahre Geschichten aus der Sowjetküche” schrieb, dass die UdSSR 1929 knapp 800 Tonnen Kaviar exportiert habe und dafür 15 Millionen US-Dollar bekam. Heute wären das rund eine Milliarde US-Dollar.

2. Kaviar wurde mit Wodka „runtergespült“

Dank Djagilew und seines „Ballett Russes“, war alles Russische in Europa modern, auch schwarzer Kaviar. Die Europäer tranken Champagner zu gekühltem Rogen. In Russland wurde Kaviar meist bei Zimmertemperatur serviert.

Der Opernsänger Fjodor Schaljapin soll einmal gesagt haben: „Kaviar wird nicht gespeist, sondern mit Wodka runtergespült.” Neben seiner beeindruckenden Bassstimme war der Künstler bekannt für seine ausschweifenden Feiern in den feinsten Restaurants.

Fjodor Schaljapin

Als wahrer Gourmet mochte er schwarzen Kaviar besonders gerne. Nach den Memoiren seines Zeitgenossen Konstantin Korowin aß Schaljapin den Kaviar auf Tourneen jedoch nicht in Restaurants, sondern er suchte Fischerhütten am Flussufer auf und ließ den Stör dort direkt vor seinen Augen aufschneiden.  

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3. Während des Krieges rettete Kaviar Leben

Zu Beginn der Blockade von Leningrad (heute Sankt Petersburg) durch die Nazis während des Zweiten Weltkrieges, versuchten die verzweifelten Stadtbewohner, Vorräte anzulegen. Sie kauften alles, was es gab. Schnell wurden die Lebensmittel rationiert und der freie Verkauf eingeschränkt. Überall bildeten sich lange Schlangen.  

Tamara Korschunowa, die heute in der Eremitage arbeitet, war während der Belagerung noch ein kleines Mädchen. Sie erinnert sich, dass es in dem Fischladen gegenüber von ihrem Zuhause noch schwarzen Kaviar gab, bevor die Lebensmittelmarken eingeführt wurden. Er wurde nicht gekauft, weil er zu teuer war und die einfachen Leute auch gar nicht wussten, was es war. „Wir haben davon schließlich eine große Dose gekauft. Das rettete uns das Leben.”  

Da er reich an lebenswichtigen Vitaminen und Spurenelementen ist, wurde Kaviar den Rationen von Militärpiloten und U-Boot-Besatzungen beigemischt.

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4. Kaviar heilte Kinder

In den 1970er/80er Jahren empfahlen Kinderärzte Kaviar gegen Anämie und Eisenmangel. Besorgte Mütter stopften daraufhin ihren Kindern Kaviar in den Rachen und verursachten so eine oft lebenslängliche Abneigung gegen die Delikatesse, aber auch Allergien. Auch heute noch stellen junge Mütter in Online-Foren die Frage nach Ersatz für schwarzen Kaviar. Einige Ärzte der alten Schule empfehlen ihn nach wie vor gegen Blutarmut.

Kaviar ist kein Arzneimittel, doch Ernährungswissenschaftler glauben, dass er wegen der darin enthaltenen Proteine positiv auf das kardiovaskuläre System wirkt, ebenso auf das Gehirn und die Sehkraft. Er trage zu einem starken Immunsystem bei. Schwarzer Kaviar ist gehaltvoller als roter. Vom täglichen Verzehr wird jedoch abgeraten, da er Nierensteine verursachen kann.

5. Kaviar-Satire

Im Restaurant des Hotels Ukrajina

Nach dem Tode Stalins gingen die Preise für schwarzen Kaviar durch die Decke und er war nicht mehr erschwinglich. Nur noch die Eliten konnten ihn sich leisten. Die rote Variante war zwar etwas günstiger, aber immer noch außerhalb der Möglichkeiten der meisten Menschen. Viele sparten dafür und aßen ihn nur zu Neujahr.

Als Alternative gab es Kürbis und Aubergine aus der Dose, was in der UdSSR ebenfalls als Kaviar verkauft wurde. Das war zwar billig, aber wenig beliebt. Selbst zu Zeiten von Nahrungsmittelknappheit fristeten kleine Dosen Gemüse-Kaviar ein einsames Dasein in ansonsten leeren Supermarktregalen.  

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Die wechselhafte Geschichte des Kaviars inspirierte auch Satiriker. In der berühmten Komödie „Iwan Wassiljewitsch wechselt den Beruf” des bekannten russischen Regisseurs Leonid Gaidai wird ein fürstliches Gelage zur Zeit Iwan des Schrecklichen dargestellt.

Unter all den Köstlichkeiten auf der überbordenden Tafel stehen auch drei silberne Kaviarschälchen. In der ersten ist schwarzer Kaviar, in der zweiten roter und in der dritten „ausländischer Auberginenkaviar”. Doch genau diese dritte Schale lässt dem Zeremonienmeister das Wasser im Mund zusammenlaufen, während ihn der schwarze und rote Kaviar völlig kalt lassen.  

Auch in dem sowjetischen Kultfilm „Die weiße Sonne der Wüste” von Wladimir Motyl (diesen Film sehen sich alle russischen Kosmonauten vor dem Start an) wird sich über die längst vergangenen Zeiten, als Kaviar im Überfluss gab, lustig gemacht. Der Held des Films schaufelt die Delikatesse mit einem Löffel aus einer riesigen Schale und beklagt sich, wie satt er das Zeug habe (der Film spielt am Kaspischen Meer, woher 90 Prozent der sowjetischen Kaviarproduktion stammten).

Noch immer steht auf russischen Festtafeln echter Kaviar. Roter Kaviar ist mittlerweile unverzichtbar zu Neujahr. Schwarzer Kaviar bleibt einigen wenigen vorbehalten, wenn auch der bekannte russische Olivier-Salat im Originalrezept die dunklere Sorte enthält.

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