Meinung: Die Dämonisierung Russlands in Hollywood ist schlimmer denn je

Kultur
DANIEL CHALYAN
Für die meisten von Ihnen ist die Darstellung von Sowjets (oder Russen - wen interessiert das schon?) als rückständige Bösewichter in Hollywoodfilmen sicher nichts Besonderes. Manche sind jedoch überzeugt, dass diese negativen Stereotypen bald aussterben werden. Ich behaupte das Gegenteil: Es beginnt eine neue, nuancierte Phase.

Die reichste Filmindustrie der Welt dreht Filme nicht nur zum Vergnügen. Sie kennen möglicherweise diese Kommentare: „Das ist nur Spaß!”, „Das ist nur ein Film!”, „Das ist nur ein Scherz!” Doch wenn es um so große Summen geht, gibt es kein „nur”. Tun Sie sich selbst den Gefallen und geben Sie die falsche Vorstellung auf, dass Unterhaltung nur der Unterhaltung dient. Geld muss einen Zweck erfüllen. 

Das wichtigste zuerst 

Aus den Verbindungen zu Pentagon und CIA und der außenpolitischen Interessenvertretung hat Hollywood nie einen Hehl gemacht. Es gibt zahllose Beweise – schauen Sie bei Google nach. 

Ein Beitrag (eng) aus dem Jahr 2017 verweist auf eine Freedom of Information Act-Anfrage (das Recht auf Zugang zu Dokumenten von staatlichen Einrichtungen in den USA), bei der nicht weniger als 1 800 Fälle einer direkten Einflussnahme Washingtons auf Filme und TV-Serien offenkundig wurden. 

Während es nicht allzu sehr verwundert, dass eine Regierung versucht, sich im bestmöglichen Licht zu präsentieren, so bringen die USA die Kontrolle der Medien und Unterhaltungsindustrie auf ein absolut fanatisches Niveau. 

Vordergründig sehen wir auf der Leinwand in einem Michael-Bay-Film Waffentechnologie mit Millionenwert. Subtil erledigt Hollywood den eigentlichen Auftrag, nämlich im Alleingang bestimmte Haltungen zu vermitteln und die US-Amerikaner auf das vorzubereiten, was noch kommen könnte. 

Oberflächliche Stereotypien 

Was Hollywood-Russen betrifft, so sind sie nicht als etwas Besonderes klassifiziert, sie sind keine Menschen. Diese Hollywood-Russen gibt es in der Realität kaum. Sie sind eine Aneinanderreihung von Klischees. Man könnte das auch über die Darstellung des Islam sagen, aber sie werden keinen „progressiven” US-Amerikaner finden, der sich für Russland einsetzt. Es ist ja auch nicht gefährlich, einen Russen zu verärgern. Wir sind keine Religion, es ist nichts Heiliges dabei, was beleidigt werden könnte. Wenn sich dann doch mal einer angegriffen fühlen sollte, dann gilt: „Hey, es ist doch nur ein Film!” Wir Russen haben keine Lobby. Es zieht keine politischen Konsequenzen nach sich, sich über uns lustig zu machen, denn dank der weitreichenden US-Außenpolitik sind wir selbst unsere einzigen Fürsprecher. 

Ich denke nicht, dass ich Ihnen jeden Actionfilm der letzten 50 Jahre ins Gedächtnis rufen muss, indem böse Russen auftreten – von dem lächerlichen Film „Die rote Flut (1984), in dem die UdSSR in die USA einfällt und sich dabei sehr dumm anstellt, bis zu Rambo III (1988), in dem sich die „tapferen Mudschaheddin (die später zu den Taliban wurden) mit Rambo gegen die bösen Sowjets verbünden, und Dutzende andere. Zudem muss ich Sie wohl auch nicht erinnern an die hundertfache Darstellung von Russen als brutal, dumm, listig und leicht zu durchschauen in all ihrer Unmenschlichkeit und mit ihren eindimensionalen Plänen. 

Wenn Russen einmal nicht  „böse oder „dumm sind, sind sie übertrieben, fanatisch, tragisch, mysteriös oder mit irgendeinem Hintergedanken behaftet. Sie kommen nie gut weg. Sollte einmal eine unschuldige Russin in einem Film auftauchen, so ist dies stets eine schöne, zerbrechliche Kreatur, die versucht, dem Leben in Russland oder ihren grausamen KGB-Führern zu entkommen, in dem sie entweder zur Schurkin wird oder zur CIA überläuft.

Es ärgert mich maßlos, dass selbst der „angesehenste russische Wissenschaftler” in einem Hollywood-Film noch bereit wäre, seine Heimat zu verraten, berechnend ist und Angst vor seinem Land hat. Manchmal auch alles drei auf einmal.

Sogar in dem hochgelobten HBO-Hit „Chernobyl” (2019) handeln Russen nur ehrenhaft, wenn sie dafür bezahlt werden. Was, wie wir von Überlebenden der Katastrophe wissen, Unsinn ist. Sie taten damals einfach, was getan werden musste, ohne Bezahlung. Doch Hollywood vermittelt: Selbst im Angesicht des Todes denken die Russen nur an Geld. Die Überlebenden von Tschernobyl haben sich angegriffen gefühlt und das zu Recht.

Und wir wollen doch auch nicht den russischen Wissenschaftler in Netflix‘ „Stranger Things III” vergessen, der bereit ist, dem US-amerikanischen Agenten ohne Umschweife Staatsgeheimnisse zu verraten,  wenn dieser ihm statt eines Kirsch- einen Erdbeersmoothie besorgt. Oder denken Sie an den riesigen Idioten, der seine Opfer mit äußerster Grausamkeit erwürgt.  

Fragen Sie sich einmal selbst: Ist das im Jahr 2019 noch zeitgemäß? 

Die übliche Antwort lautet: „Ihr versteht das nicht! Es ist eine Parodie auf die 80er Jahre!“ Was nun? Weil es die eigenen Vorstellungen aus der Zeit des Kalten Krieges parodiert, ist es irgendwie weniger verletzend für eine andere Kultur? 

Der Kalte Krieg hat nie aufgehört. Es ist schlimmer als zuvor. In der heutigen Zeit erfordert die sich verschärfende Krise neue Ansätze, die mehr die Tiefen der Psyche des Betrachters anspricht, als mit oberflächlichen Karikaturen zu spielen. 

>>> Sieben Hollywoods Blockbuster über Russland: Der Kalte Krieg ist zu Ende, die Klischees bleiben

Die Nuancen in Hollywoods neuem Kalten Krieg  

Verstehen Sie mich nicht falsch. Doch im Hollywood nach der Jahrtausendwende saufen Russen noch immer Wodka aus Eimern (siehe Angelina Jolies Film „Salt” von 2010) Sie werden immer noch von albernen monolithischen Patriotismen wie Roboter (der Oligarch in „Jack Ryan: Shadow Recruit”, 2014) und anderen nicht weniger lächerlichen Beispielen für „russisches“ Verhalten getrieben, von offenkundiger Missachtung des Lebens Ihrer eigenen Geheimdienstmitarbeiter bis hin zur Behandlung von Frauen als Untermenschen.  

Worauf ich stattdessen aufmerksam machen möchte, ist die zunehmende Verlagerung der letzten fünf Jahre hin zu historischen Stücken. Die 80er Jahre kommen stärker zurück als je zuvor! An der Oberfläche ist alles Spaß und Comedy, Cyndi Lauper-Songs, Haarspray, Spandex und Synthesizer-Musik. Doch dahinter steckt viel mehr.  Was die Russen betrifft, waren die 80er Jahre das letzte Jahrzehnt, in dem der sowjetische Bösewicht ein nützlicher Stereotyp war. 

Warum sich nichts ändern wird 

Zum einen behandeln die USA Russland und die Sowjetunion nach wie vor als ein und dasselbe Land. Das sagt mir, dass sie die Überzeugung, Wladimir Putin wolle eine zweite UdSSR schaffen, nicht aufgeben werden. Dies ist der Beweis, nach dem wir suchen sollten, wenn wir die Filmindustrie des anderen analysieren. Alles andere ist Kosmetik. Es gibt keine Entspannung in den internationalen Beziehungen. Wir sind keine engeren Freunde als zuvor. Alles ist so, wie es sein sollte, denn das Kino ist einfach ein Spiegel dessen, was die am besten finanzierte Filmindustrie der Welt für die nationalen Interessen erreichen will.

Das ist in Russland nicht anders, oder in China oder Indien. Doch Washington hat einfach mehr Geld, daher ist das strategische Denken weiter verbreitet und für alle offenbar.

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