„Das ist wirklich schrecklich. Billiger, böser, schrecklicher Mist. Ich liebe es.“ Der Topkommentar zum Video „SKIBIDI“ der russischen Band Little Big sagt alles - wer in der vergangenen Woche im Internet war, weiß genau, was es bedeutet:
Das Video „SKIBIDI“ mit seinem eigenen Tanz #skibidichallenge hat alles, was ein gutes Internetvideo braucht: Es ist empörend, bevor man es merkt, steckt es im Kopf, fesselt einen an den Bildschirm und man lernt einen dummen und süchtig machenden Tanz.
Russischer Talkshow Urgant am Abend gelingt die Skibidi Challenge:
Little Bigs Clickbait ist jedoch mehr als nur ein momentaner Wahnsinn. Vielmehr ist es etwas, das diese "freak rave" Gruppe seit 2014 beherrscht. Die Gruppe hat schon in der Vergangenheit durch „Every Day I'm Drinking“ ganz Russland mit seinen furchterregenden Polizeiclowns und Wodka trinkenden Bären entsetzt. Der schamlose Mischmasch der Genres verdrängt nur noch mehr durch die surrealen und auffälligen Musikvideos der Band und ihrem Schockwert. Dies hat ihr Schicksal jenseits der Musik irgendwo in der aggressiven Dummheit des Internets entschieden.
Im Grunde genommen denken Sie an Die Antwoord, aber mehr mit der Sexualität von Tatu.
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Methode zum Wahnsinn
Ist das alles nur ein großer Witz?
Manchmal, ja. Wir werden nicht versuchen einen tieferen Sinn in „SKIBIDI“ und „LollyBomb“ zu finden. Letzteres ist wirklich nur die Erforschung der sexuellen Freiheit durch Kim Jong Un mit seinem Schatz - der Atombombe.
Aber wie bei anderen Satireformarten steckt hinter der Absurdität ein ergreifender Grund. 2017 in einem Interview mit Juri Dud eröffnete Little Bigs Frontmann und Gründer Ilja Prusikin, alias Iljitsch, seine Vergangenheit als Psychologiestudent. Ein Bereich, den er prompt verließ, als er in seiner Freiwilligenarbeit in einem Pflegeheim mit der Realität der Demenz konfrontiert wurde. Dies inspirierte ihn zu der besonders freudischen Färbung seiner Arbeit.
Es ist wahrscheinlich eine sichere Sache zu sagen, dass dies seine Spuren auf dem 2016er-Lied „BIG D*CK“ hinterlassen hat, eine Erinnerung daran, dass der Penisneid heute in der Popkultur lebendig ist. Es zeigt ein klavierspielendes Mitglied und einen nackten Prusikin, der seine beeindruckende Größe aggressiv behauptet. „Es ist jetzt cool, dich an der Größe deines d*cks zu messen", erklärt ein nachdenklicher Prusikin. „Das ist eine Parodie auf alle Popvideos. Bei ihnen dreht sich alles um Sex, es ist so ein Blödsinn.“
Dann gibt es da noch die subversiv-morbide „Hassbare Liebe". Texte wie „Ich hoffe, du stirbst/bitte sterbe jetzt“ und die sexuelle Deutlichkeit des Videos als bloßes Clickbait zu interpretieren, würde dem Song nicht gerecht werden. Was uns tatsächlich gezeigt wird, sind die extremen Grenzen der weiblichen Unzufriedenheit. Dies ist ein schamloses, mythisches Matriarchat, in der Barbiepuppen gegrillt werden, Schönheit mit Kalaschnikows Hand in Hand geht und die Rolle eines Mannes darauf reduziert wird, ein bloßes Bücherregal zu sein.
Ein schlechtes Image für Russland?
Der Ruf von Little Big bei den Zuschauern zu Hause ist kompliziert, um es vorsichtig auszudrücken. Auch wenn Russland von der „SKIBIDI“-Infektion nicht verschont geblieben ist, ist es noch nicht lange her, als die russischen Landsleute die Köpfe der Bandmitglieder forderten.
Es ist leicht zu verstehen, warum das Bild von AK-47 tragenden Psychopathen in Kokoschniks nicht gerade die Presse ist, die sich die meisten Russen für ihr Land wünschen. Prusikin hat dieses Bild verteidigt, indem er behauptet, dass Ausländer den Witz verstehen, aber durch eine ironische Wendung des Schicksals wurde er selbst immer wieder mit diesem Witz veräppelt: „In Russland sagen die Leute, dass ich das Land verleumde“, behauptet er, "...oder sie fragen: ‚Wenn du wirklich für Russland bist, warum singst du nicht auf Russisch?‘"
Richtig oder falsch, er hat sich ordnungsgemäß daran gehalten. Iljichs Nebenprojekt The Hatters, welches das russischsprachige Outlet der Band ist, veröffentlicht nun seit 2016 eine abgeschwächte russische Satireversion. Denken Sie an Akkordeons und das glückliche Zerschlagen von Glas anstatt an Kalaschnikows und seltsame Tanzeinlagen. Seine Frau Irina Smelaja, auch bekannt als Tatarka, wurde als seltenes, aufrichtiges Mitglied der Little-Big-Familie in den Vordergrund gerückt und hat die interessantesten russischen Trap-Hits der letzten Jahre hervorgebracht. Einzigartig ist, dass sie auf Tatarisch rappt.
Aber letztendlich ist es Wahnsinn, Little Big nach künstlerischer Qualität oder Ethik zu bewerten. So experimentell sie auch erscheinen mögen, sind sie keine „Musiker“ im traditionellen Sinne. Vielleicht passen sie besser in die Kategorie der Internettrolle oder Performancekünstler.
Tatsächlich sollten wir Prusikin und Co. wahrscheinlich sehr dankbar sein. Schließlich töten sie veraltete Online-Memes mit beeindruckender Geschwindigkeit, indem sie einfach ihre Grenzen aufzeigen, in dem der psychologische manipulative Kern des Popkulturtrends offengelegt wird. Und zwar dadurch, dass sie zu einem Punkt kommen, an dem sie nicht mehr ausgeschöpft werden können.
Was „SKIBIDI“ betrifft - ja, es ist wahrscheinlich nur eine Geldmaschine, aber seien Sie ehrlich: Haben Sie jemals eine andere Online-Hashtag-Challenge genossen? Die #InMyFeelingsChallenge, irgendjemand? Natürlich nicht. Akzeptieren wir es einfach - wir sind vulgäre Wesen, die ab und zu schockiert werden müssen. Little Big hat uns nur die nackte Wahrheit gezeigt.