Rüdes Verhalten im Fahrstuhl
Sie stehen im Fahrstuhl, jemand tritt ein und sie setzen Ihre Fahrt schweigend fort oder, noch schlimmer: Sie grüßen freundlich und Ihr Gruß wird ignoriert.
Ist das unhöflich? Rüpelhaft? Russische Etikette-Experten sehen das anders. „Im Gegenteil, wenn wir eine Person im Aufzug oder spätabends an einer Bushaltestelle nicht anschauen, signalisieren wir damit: „Ich sehe dich nicht, von mir geht keine Gefahr aus. Und du schaust mich daher bitte auch nicht an oder redest mit mir”, erklärt (rus) der Sprachforscher Michael Krongaus.
Unter Unbekannten sucht der Russe die Anonymität. Abstand halten und keinen Kontakt aufnehmen ist der beste Weg, unsichtbar zu bleiben. Wenn es die Möglichkeit gäbe, würden wir einen anderen Fahrstuhl, in dem wir allein sind, wählen. Also urteilen Sie nicht zu hart über uns. Für Russen ist es ein Zeichen des Anstands, den persönlichen Raum ihres Gegenübers zu respektieren.
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Im Nahverkehr
Im öffentlichen Nahverkehr gilt das Gleiche: bleiben Sie unsichtbar. Üben Sie diese Fähigkeit. Küssen Sie sich zum Beispiel nicht in der Öffentlichkeit, regen Sie alleinstehende Menschen nicht auf und provozieren Sie verbitterte Frauen mittleren Alters oder Babuschkas, die schon längst vergessen haben, wie man küsst, nicht mit Ihrem Verhalten. Essen Sie nicht im Bus oder in der U-Bahn, versuchen Sie nicht einen Blick auf das Handy oder Buch ihres Sitznachbarn zu erhaschen, feilen Sie sich bitte nicht Ihre Fingernägel… Letzteres scheint selbstverständlich, doch nicht jeder weiß das. Zwar würden die anderen Fahrgäste nichts zu Ihnen sagen (sie versuchen ja, unsichtbar zu sein), doch mit abschätzigen Blicken müssen Sie rechnen.
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Ungefragt einer Frau Hilfe anbieten
In Russland sind Geschlechterstereotypen noch allgegenwärtig. Männer sollen allzeit ihre Männlichkeit und ihren Wohlstand zeigen, Frauen sollen zerbrechlich, hilflos und ängstlich sein. In Russland spielt der Feminismus keine große Rolle. Häufiger wird ein verwirrendes Spiel gespielt, bei dem ein Ja ein Nein ist und ein Nein eigentlich ein Ja.
Wenn eine Frau eine schwere Tasche schleppt, sollte ein Mann seine Hilfe anbieten. Sie mag die Hilfe zunächst ablehnen (aus Höflichkeit, nicht weil sie sich in ihrer feministischen Ehre gekränkt fühlt), doch in dieser Situation sollte der Mann nicht aufgeben und seine Hilfe nachdrücklicher anbieten.
Die Regel “Keine Hilfe anbieten, es sei denn man wurde darum gebeten” gilt hier nicht.
Männer halten den Frauen die Tür auf, bieten ihnen im Nahverkehr einen Sitzplatz an, übernehmen im Restaurant die Rechnung und halten sich mit deftiger Sprache in der Anwesenheit von Frauen zurück.
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Achtung, Fußbekleidung!
Wahrscheinlich haben Sie schon einmal gehört, dass die Russen ihre Schuhe ausziehen, wenn sie nach Hause kommen. Sie haben für zu Hause Pantoffeln oder laufen, aus einem besonders rebellischen Geist heraus, barfuß. Nun scheint diese Regel einfach zu sein, doch die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Raum sind so fließend, dass ein Ausländer schnell verwirrt sein kann.
So sollten Sie im Schlafwagen Schuhe anziehen, wenn Sie ihr Abteil verlassen, um heißes Wasser zu holen. „Zumindest sollten Sie das Abteil nicht auf Socken verlassen”, sagt Richard Garrett.
„Ich habe das einmal gemacht. Wenn meine Schuhe im Abteil ausgezogen werden müssen, erschien es mir nur logisch, dass ich auch ohne Schuhe auf den Gang zum Samowar gehen kann, schließlich befand ich mich ja noch immer drinnen. Doch, ach Du meine Güte, diese russische Dame verfolgte mich den ganzen Weg zurück zu meinem Abteil und schrie dabei etwas auf Russisch. Sie zeigte auf meine Füße. Ich dachte, sie würde nie wieder aufhören.”
Keinen Widerstand leisten
Dies ist ein Meilenstein, wenn es darum geht, russisches Benehmen zu verstehen. Eine unmissverständliche, eindeutige Vereinbarung, von der alle profitieren. Um einen Russen nicht zu beleidigen, ist alles was man tun muss (zumindest das erste Mal), alles tun, was er will und nicht zeigen, dass man sein Angebot nicht braucht.
Wenn Sie bei einem Russen eingeladen sind und er zeigt Ihnen, wo sie Ihre Hände waschen können, will er, dass Sie sich die Hände waschen. Sehr höflich, oder? Die Russen sind paranoid, was das Händewaschen betrifft. Vor allem auswärts. Wenn Sie sich die Hände nicht waschen wollen, wird dies nicht zu Ihrem Vorteil ausgelegt werden (wie einer unserer Autoren eigenhändig erfahren musste). Waschen Sie sich einfach die Hände!
Ein anderes Beispiel: Sie sind zum Abendessen eingeladen und Sie erwarten Nudeln oder einen Auflauf. Doch der Tisch ist so reich gedeckt, dass dreißig hungrige Holzfäller satt werden könnten. Der Anstand verlangt nun, dass Sie von jedem Gericht probieren und es loben (oder wenigstens zeigen, dass sie beeindruckt sind, dass all dies nur für Sie gemacht wurde). Wenn Sie einen Drink angeboten bekommen, nehmen Sie wenigstens einen Schluck.