Kann man in Russland leben, ohne Russisch zu sprechen?

Igor Gerasimtschuk/TASS
Bis heute sprechen viele Russen kaum oder gar nicht Englisch. Ein Leben in Russland ohne Russischkenntnisse ist entsprechend schwierig. Einige Expats trauen sich aber doch.

„Ich war auf dem Weg von der Arbeit nach Hause, als mich plötzlich ein Metroangestellter stoppte. Er fragte mich nach meiner „Troika”-Karte und meinem Pass. Sein Gesicht war ernst, fast schon sauer. Was war passiert? Was hatte ich getan? Ich bat um Hilfe, aber niemand sprach Englisch. Ich hatte solche Angst.“ 

Nach einer umfassenden Befragung erlaubte man Lee Ken (33), einer Philippinerin, die in Russland als Kindermädchen arbeitet, zu gehen. Sie ist bei weitem nicht die Einzige, für die die Sprachbarriere in Russland ein Problem darstellte. 

Die ersten Tage

Viele Leute empfehlen daher, einen russischen Bekannten damit zu beauftragen, am Anfang die wichtigsten Dinge mit einem gemeinsam zu erledigen. Das Einrichten eines Bankkontos, das Finden einer Wohnung und nicht zuletzt die Bürokratie können ohne Russischkenntnisse zu einer echten Herausforderung werden. Auch das Personal spricht oft zu schlecht Englisch, um wirklich eine Hilfe zu sein. 

„Die unerfreulichste Situation hatte ich, als ich meine Aufenthaltsgenehmigung verlängern wollte. Es stellte sich heraus, dass es ein Problem mit meiner Registrierung gab. Da mein Russisch nicht gut genug war, um die Situation selbst aufzulösen, bat ich die Beamtin darum, meine Frau (eine Russin) anrufen zu können, damit sie übersetzen kann. Sie verstand zwar, dass meine Frau am Telefon war, weigerte sich aber, mit ihr zu sprechen“, erzählt Fernando Alves. Der 40-jährige Portugiese arbeitet als Social Media-Manager in Russland. 

Solche Situationen sind kein Einzelfall. Auch die 24-jährige Juristin Irene De Cleene, eine Belgierin, die mit einem Russen verheiratet ist, muss bei Behördengängen ihren Mann um Hilfe bitten. 

Wenn man diese Hürden überwunden hat, wird man aber auch ohne Russischkenntnisse schon um einiges selbstständiger. 

„Nachdem ich Dinge wie Yandex (ein Taxirufdienst), eine Sim-Karte und ein Bankkonto sowie einen guten Freundeskreis hatte, war es für mich nicht schwer, mich hier einzufinden“, berichtet Ben Fusi (23) aus Essex, England. Er arbeitet als Lehrer in Moskau. 

Auch die 30-jährige Kalifornierin Bree Marie Antonowa arbeitet in Moskau als Englischlehrerin, ohne wirklich gut russisch zu sprechen. „Ich lebe hier seit sieben Jahren. Russische Freunde fragen mich oft, wie ich es schaffe Kindern Englisch beizubringen, ohne selbst Russisch zu sprechen. Oder sie sagen Dinge wie ‚Wie überlebst du hier, ohne unsere Sprache zu sprechen?‘. Wenn sie hören, wie lange ich schon hier lebe, sind sie aber in der Regel ruhig.“

Es scheint, als könnte man in Russland überleben, ohne Russisch zu sprechen. Aber wie sieht es mit der Lebensqualität aus?  

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Freunde finden

Soziale Kontakte zu finden, ohne Russisch zu verstehen, gestaltet sich relativ schwierig. Viele Menschen, die wir für diesen Artikel interviewt haben, beschweren sich, dass sie schlecht mit anderen ins Gespräch kommen, weil sie die Unterhaltungen einfach nicht verstehen. 

„Freunde zu finden ist schwierig. Ich habe in anderen Ländern nie Probleme damit gehabt, Leute kennenzulernen. Irgendjemand spricht immer Englisch, Französisch oder Deutsch. Hier sprechen selbst die Jüngeren oft nur Russisch“, sagt De Cleene. 

Auch Expats, die sich am Russischen versuchen, finden es schwierig, auf einem fortgeschritteneren Niveau zu kommunizieren. 

„Ein Date mit einer Russin kann zum Beispiel sehr schwierig sein, wenn man nur Englisch spricht, auch wenn sie eigentlich gut Englisch kann. Auch in Freundeskreisen, die gut Englisch sprechen, gibt es oft Schwierigkeiten, wenn man der einzige ist, der kein Russisch kann“, meint Ben Fusi. 

Für Lee Ken ist die Sprachbarriere ein echtes Problem. „Auf den Philippinen hatte ich ein aktives Sozialleben mit vielen Freunden. Hier in Moskau nicht. Ich bin oft gelangweilt und würde gerne auf Partys und so gehen, aber ich habe einfach Angst, dass ich keinen Drink auf Russisch bestellen kann oder dass Unterhaltungen an meinen Russischkenntnissen scheitern.“ 

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„Das russische Murmeln” 

Daher ist es nur zu empfehlen, zumindest die wichtigsten Phrasen und Vokabeln zu lernen. Es wird Ihnen in Russland viele Türen öffnen. Das kyrillische Alphabet ist zum Beispiel ein guter Anfang, um sich mit der russischen Sprache vertraut zu machen. 

Viele sagen auch, dass Russen sehr viel offener auf einen zugehen, wenn man es zumindest auf Russisch probiert. Selbst wenn die Mühen zwecklos sind, hat man genug Sympathiepunkte gewonnen, dass sich vielleicht doch jemand findet, der Englisch kann.

„Ich stand an einem Bahnhof in Moskau und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wusste, wie mein Zielbahnhof hieß und das war es. Zum Glück half mir ein junger Mann, der etwas Englisch konnte, ein Ticket zu kaufen und einen Bahnangestellten zu finden, der mich zu meinem Gleis begleitete. Es war mitten in der Nacht und ich war so dankbar für diese Hilfe“, erzählt Christy Cad aus Ohio. Christy hatte das Glück, dass ihr jemand geholfen hat, aber in dieser Situation hätte es geholfen, zumindest ein bisschen Russisch zu sprechen. 

Deyra Baez de Uschakow schreibt auf Facebook: „Russen mögen es nicht, wenn man es nicht einmal versucht. Wenn man es zumindest einmal auf Russisch versucht, haben sie Verständnis und versuchen, zu helfen.“ 

Am Anfang hilft es auch, einfach andere nachzumachen. „Wenn man das „russische Murmeln“ beherrscht, kommt man in den meisten Situationen gut durch“, sagt die französische Gaststudentin Melanie Trombetta (25).

Sie meint: „Mein ‚hmm hmm‘ war der beste Schutz, gegen die grimmigen Babuschkas in der Wohngemeinschaft. Meine australische Zimmergenossin wurde oft grundlos angeschrien, obwohl sie fließend Russisch kann. Mir passierte das nie. Meine Theorie ist, dass sie wussten, dass ich sie nicht verstehe, weswegen es für sie keinen Sinn machte, mich anzuschreien. Ich sagte einfach ‚hmm, hmm‘ und kam so davon. Das ist einer der besten Tipps, die ich zum Überleben in Russland geben kann.“ 

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