Die billigen Plastikstühle, das Bücherregal und der kleine Kleiderschrank stehen im Kontrast zu den hohen Decken und dem funkelnden Kronleuchter. Eine üppige Brünette von angenehmer Erscheinung schreibt fleißig etwas auf das Blatt, das auf ihrem Schoß liegt. Die anderen Teilnehmer des Abends, eine Frau in roter Jacke und mit strengem Pagenschnitt, eine effektvolle, schlanke Blondine mit struppiger Frisur, eine junge Frau, die wie ein Schulmädchen aussieht, und ein lockenköpfiger junger Mann, tun dasselbe.
„Sweta, was ist bei Ihnen herausgekommen?“, fragt eine schlanke, vierzigjährige Blondine, die den fünf Teilnehmern gegenüber sitzt. Das ist Irina Jemeljanowa, die Kursleiterin. Sie stellt sich wie folgt vor: verheiratet, Mutter von zwei Kindern, Diplom-Psychologin, Hypno- und Energietherapeutin.
In der ersten Aufgabe mussten die Teilnehmer aufschreiben, was sie erreichen wollen.
„Nun, ich bin die Kredite losgeworden, habe das Verhältnis zu meinen Kindern in Ordnung gebracht, einen Ehemann gefunden...“, antwortet die Brünette schüchtern und schaut dabei auf ihr Blatt.
„Nein, so geht das nicht! Schreiben Sie: Ich bin frei, unabhängig und habe die Liebe meines Lebens gefunden! Mit dieser Botschaft müssen Sie ins Rennen gehen – die Kredite spielen hier keine Rolle“, sagt Irina.
Die anderen Teilnehmer streichen etwas auf ihren Blättern durch.
So verläuft in einem kleinen Bürogebäude im Zentrum Moskaus eine der russischen Trainingseinheiten zur Verführung von Männern, darunter von Ausländern. Die erste Veranstaltung ist kostenlos, für jede weitere thematische Schulung fallen 7.200 Rubel (ca. 100 Euro) an.
Live- und Online-Verführung
Stellen Sie sich vor, Sie sehen sich das Profil einer russischen Frau auf Tinder an. Blondes Haar, blauen Augen, reist und kocht gern, verspricht Fürsorge und Zuneigung. Glauben Sie, sie ist die Richtige? Vielleicht. Aber denken Sie daran, dass sie dieses Formular vielleicht nicht selbst ausgefüllt hat.
Obwohl das Klischee der „russischen Ehefrau“, die von einem ausländischen Ehemann träumt, allmählich der Vergangenheit angehört, gibt es doch ein Angebot an speziellen Online-Kursen zum Ausfüllen von Fragebögen auf Dating-Seiten und zur Kommunikation mit Ausländern.
Eine der Anbieterin solcher Kurse ist Rina Piantanida, die einen Griechen geheiratet hat. Sie führt einen YouTube-Kanal, der zeigt, wie man einen ausländischen Mann erobert. Das Zielpublikum sind Frauen ab 30 Jahren.
„Eine Frau, die liebt und geliebt werden will – das ist brillant“, sagt sie in einer der Sendungen. Eine einfache und normale Frau – das sind die beiden Hauptkriterium für Ausländer. Sie wollen nichts Extravagantes.
Ihr zufolge darf man einem Ausländer nie schreiben, dass er ihr etwas schuldig sei, denn „ihre Mentalität ist anders“. Auch darf man nicht zu unabhängig erscheinen oder offen erklären, dass man einen reichen Mann sucht – das würde ihn abschrecken. Der beste Weg, einen Ausländer zu verführen, ist laut Piantanida, zu zeigen, dass du sanft, zärtlich und fürsorglich bist.
Darüber hinaus gibt es Eheagenturen, die sich auf die Suche nach Ehemännern außerhalb Russlands spezialisiert haben und die Fragebögen für die russischen Schönheiten ausfüllen.
Eine dieser Agenturen nennt sich tendenziös „Kickdown für Frauen zum Kennenlernen von Ausländern“. In ihren Kursen lernt man nicht nur, wie man mit Männern kommuniziert, sondern erhält auch Fragebögen von Ausländern, die eine Russin kennenlernen wollen. Für die Teilnahme wird von beiden Kandidaten ein Obolus berechnet. Wie hoch dieser ist, wird in der Community nicht erwähnt.
„Am Anfang verwenden wir Smileys und chatten ungezwungen. Es sollte auf keinem Fall über finanzielle Probleme, Ex-Ehemänner, Krankheiten oder die politische Situation im Land geschrieben werden“, empfiehlt der Trainer eines dieser „Kickdowns“ in seinem Kanal auf dem Messenger Telegram. Fußball, Reisen, Fotografieren, Gastronomie und Spaziergänge im Park werden als ideale Themen empfohlen.
Schließlich kann eine russische Frau, wenn sie es möchte, mehrere hundert Euro sparen (der genaue Betrag ist unbekannt) und sich für einen Kurs bei Alex Leslie, einem der berühmtesten Sexcoaches Russlands, anmelden. Er bietet eine individuelle Ausbildung auf Ibiza und verspricht den „Jägerinnen“, ihnen dazu zu verhelfen, Top-Manager, berühmte Musiker, Fotografen und Unternehmer (nicht unbedingt nur Ausländer) zu verführen.
Was Frauen wollen
„Damit ein ausländischer Mann Geld verdient, muss man selbst vor Verlangen brennen und ihn motivieren“, sagt Irina Jemeljanowa bei ihrem Training zum Verführen von Männern. Sie ist sich sicher, es gibt keinen Unterschied zwischen Männern aus Russland und anderen Ländern und behauptet, dass die Mentalität nur eine Frage der Konvention ist – letztendlich brauchen alle Männer das Gleiche.
Die Teilnehmer des Trainings, einschließlich des jungen Mannes, kommen kaum hinterher, ihre Ratschläge aufzuschreiben.
Nach Ansicht von Irina sollte man sich an einen Ausländer häufiger um Hilfe wenden und generell schwach sein. Außerdem dürfe man Männer auch nicht „nerven“ und es im Haushalt nicht übertreiben, so dass der Mann nicht verwöhnt werde und lerne, seine häuslichen Verpflichtungen zu erfüllen.
Die Teilnehmer des Trainings geben zu, dass sie einen Ausländer vor allem deshalb heiraten wollen, um die zusätzliche Belastung durch Kredite, Job und Haushalt abzuschütteln.
„Ich finde kaum Zeit für mich selbst und bin müde – die ganze Energie stecke ich in meinen Job. Und bei uns sind alle Männer geizig. Die Amerikaner sind ehrlich und aufrichtig, sie hintergehen einen nicht“, glaubt eine der Teilnehmerinnen.
Die anderen nicken mitfühlend. Nur Artjom, der lockenköpfige Student, schaut etwas ratlos.
„Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich will ein Mädchen erobern, ein russisches. Zumindest verstehe ich euch jetzt ein wenig besser. Und sie auch“, fasst er zusammen.
Geld ist nicht das Wichtigste
Russische Frauen werden vor allem von den Zukunftsaussichten und dem hohen Lebensstandard in Europa und den Vereinigten Staaten angezogen, sagte die Psychologin Irina Ryschkowa. Zudem wird mit zunehmendem Alter die Auswahl eines geeigneten Partners immer enger.
„In der Kategorie Ü30 gibt es auf dem heimischen Heiratsmarkt immer weniger freie Männer und mehr freie Frauen. Deshalb schauen die Frauen ins Ausland“, sagt Ryschkowa.
Viele Frauen tragen dabei noch immer die negative Erfahrungen aus früheren Beziehungen mit sich. In diesem Fall bestehe die Gefahr, dass sie diese Probleme in die Beziehung zu einem Ausländer übertragen und diese durch den Unterschied in der Mentalität noch verstärkt werden, erklärt der Psychologe.
„Ausländer haben es meist nicht eilig, Nägel mit Köpfen zu machen und zu heiraten. Zudem müssen unsere Damen höchstwahrscheinlich auf Männer fortgeschrittenen Alters setzen. Aber selbst diese sind nicht immer bereit, die volle finanzielle Verantwortung für die bessere Hälfte zu übernehmen, wie es sich viele russische Frauen wünschen“, erklärt Ryschkowa.
Das bedeute nicht, dass im Ausland lebende Männer keine russische Frau heiraten sollten, sagt sie. Das Wichtigste sei es, sicherzustellen, dass ihr Streben nicht nur auf finanziellen Interessen, sondern auch auf Gefühlen beruht.
„Zweckehen wurden auch schon vor 100 und 200 Jahren geschlossen. Entscheidend ist, dass es sich um eine ehrliche und transparente Beziehung handelt und die Bedingungen von beiden Partnern erfüllt werden. Keine Beziehung kann auf einer Lüge aufgebaut werden“, schließt Ryschkowa.