Rostow Welikij liegt etwa 130 Meilen nordöstlich von Moskau und ist eine der frühesten historisch erwähnten Städte in Russland. In der Chronik "Die Geschichte vergangener Jahre" wurde es 862 erstmals erwähnt - im Jahr, das auch als Gründungsjahr des als mittelalterliche Rus bekannten Gebietes gilt. Rostow erreichte im 17. Jahrhundert während der 30-jährigen Herrschaft des Zaren Alexej Michajlowitsch Romanow (1629-1676), des Vaters von Peter dem Großen, den Höhepunkt seines architektonischen Glanzes.
Die Vision des Metropoliten
Das Wahrzeichen der Stadt, der Rostower Kreml wurde einst als Residenz des mächtigen Rostower Metropoliten Jonas Syssojewitsch (ca. 1607-1690) errichtet. Das Ensemble gilt als eines der prägenden architektonischen Werke des spätmittelalterlichen Russlands.
In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts herrschte die Idee eines geschlossenen Ensembles vor, das die Pracht und die Macht der Geistlichkeit repräsentieren sollte. Dieses Konzept des heiligen Bezirkes stand für das kommende Königreich Gottes, die leuchtende Stadt auf dem Hügel, die messianische Hauptstadt.
Als Sohn eines einfachen Landpfarrers stieg Jonas Syssojewitsch durch die Klosteranlage in Rostow auf und wurde 1652 von seinem Mentor, dem neugewählten Patriarchen Nikon, zum Metropoliten von Rostow ernannt. Obwohl Jonas während der Krise um Nikon's Sturz in den frühen 1660er Jahren vorübergehend in Ungnade des Zaren fallen sollte, gewann er das Vertrauen des Souveräns bald wieder und konnt auch den Bau seines "Heiligen Bezirks" weiter vorantreiben.
Der Metropolit hatte 16 000 Leibeigene und die besten Handwerker in seiner großen und wohlhabenden Diözese. Innerhalb von 20 Jahren - von 1670 bis 1690 - errichteten seine Maurer nicht nur mehrere große Kirchen und Gebäude für den Hof und die Residenz des Metropoliten, sondern auch ein prächtiges Mauerwerk mit Türmen und Torkirchen am Nordufer des Nero-Sees.
Die angrenzende Dormitionskathedrale aus dem 16. Jahrhundert, die aus Ziegeln gebaut wurde und der Mariä-Entschlafens-Kathedrale im Moskauer Kreml nachempfunden war, bot eine geeignete Umgebung für das Gelände des Metropoliten. Obwohl die Kathedrale in der Regel auf 1508-12 datiert ist, soll sie in den späten 1580er Jahren schon erweitert worden sein. Im späten 17. Jahrhundert wurden niedrige, halbkugelförmige Kuppeln durch prächtige Zwiebeltürme ersetzt.
Zuhause für einen "Schwan"
Der große Glockenturm entstand zwischen 1682 und 1689 in zwei Etappen und hält insgesamt 13 Glocken. Am Ende des 19. Jahrhunderts kamen zwei kleine Glocken hinzu. Das Hauptgebäude erhob sich in vier Stufen zu drei Bogenöffnungen für das originale Glockenspiel.
Eine der beiden größten Glocken, die 1682 vom Moskauer Meister Philipp Andrejew und seinem Sohn Gabriel gegossen wurde, erhielt wegen seines melodischen Trompetenklangs den Namen "Schwan", die andere wurde "Polyeleos" genannt: nach einer orthodoxen liturgischen Referenz, abgeleitet vom griechischen Wort für "barmherzigster". "Polyeleos" wog rund 18 Tonnen und wurde auf E, der neun Tonnen schwere "Schwan" auf G gestimmt.
Zusammen mit den kleineren Glocken spielten sie jedoch einen Mollakkord, der dem Metropolit jedoch offenbar nicht passte. Er beauftragte einen anderen Meister: Flor Terentjew von den Moskauer Kanonenwerken sollte den Glockensatz modifizieren und einen Dur-Klang bringen.
Terentjew löste die Herausforderung 1688, indem er eine noch größere Glocke namens "Syssoj" goss. Die Diese C-Glocke wog 36 Tonnen, ihre Zunge allein immerhin 100 Pud (etwa 3600 Pfund). Zusammen bildeten die drei größten Glocken nun endlich einen fröhlichen C-Dur-Akkord. Es wird vermutet, dass das Gießen der größten Glocken in einer Grube südlich der Mariä-Entschlafens-Kathedrale stattfand.
Glocken in Gefahr
Doch als Jonas grandioses Projekt seinen Höhepunkt erreichte, waren Entwicklungen im Gange, die den Reichtum der Rostower Metropole störten und auch die Existenz des Glockenturms bedrohten sollten. Um die Wende zum 18. Jahrhundert wollte der junge Zar Peter I. Russland in einen wettbewerbsfähigen, europäischen Staat verwandeln. Dafür ließ er viel klösterliches Eigentum requirieren und weithin Glocken als günstige Metallquelle für die Rüstung einschmelzen.
Glücklicherweise wurde der Glockenturm der Kathedrale verschont, aber im 18. Jahrhundert verlor die Rostower Metropole dennoch rasch an Bedeutung. Erst die energischen Bemühungen lokaler Händler im späten 19. Jahrhundert und die anschließende Schirmherrschaft von Zar Nikolaus II. retteten den Rostower Kreml vor Verwüstung.
Die Bedrohung kehrte dann in den Jahren des russischen Bürgerkriegs nach der bolschewistischen Revolution zurück. Im Jahr 1928 wurde das Glockenläuten verboten, 1930 wurde die Kathedrale geschlossen. Im August 1953 richtete ein verheerender Sturm Verwüstungen an und zerstörte die meisten Kuppeln und Dächer des Kreml-Komplexes.
Die Rettung des Rostower Kremls und seines monumentalen Glockenturms war nicht zuletzt dem Interesse der sowjetischen Filmindustrie zu verdanken. Unter anderem wurde hier die Kult-SciFi-Komödie "Iwan Wassiljewitsch wechselt den Beruf" (1973) gedreht. Ab den 1960er Jahren begann die sowjetische Plattenfirma Melodija mit Aufnahmen des Rostower Glockenklangs.
1991 wurde die Mariä-Entschlafens-Kathedrale der orthodoxen Kirche zurückgegeben, und der mühsame Prozess der Restaurierung des Inneren begann. Im Jahr 2004 begannen Restaurierungsarbeiten an der kleinen Kirche und dem Aufgang zum Glockenturm. Das Rostower Staatsmuseum und die orthodoxe Kirche sind weiterhin im Ensemble vertreten.
Im Jahr 2013 wurde der Rostower Kreml durch eine nationale öffentliche Abstimmung der Staatlichen Rundfunkgesellschaft zu einem der zehn visuellen Symbole Russlands gewählt. Trotz aller Turbulenzen läuten die Glocken nun wieder regelmäßig und können mit Recht als eines der wichtigsten - auch akustischen! - Symbole Russlands betrachtet werden.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte der russische Chemiker und Fotograf Sergej Prokudin-Gorski ein aufwändiges Verfahren für die Farbfotografie. Seine Vision der Fotografie als eine Form von Bildung und Aufklärung zeigt sich besonders in seinen Fotografien der mittelalterlichen Architektur historischer Siedlungen wie Susdal und Wladimir. Zwischen 1903 und 1916 reiste er durch das Russische Imperium und schoss mit seiner neuen Technik über 2000 Fotografien, die drei Aufnahmen auf einer Glasplatte beinhalten. Im August 1918 verließ er Russland mit seiner Kollektion von Glasnegativen und ging nach Frankreich. Nach seinem Tod im Jahr 1944 in Paris verkauften seine Erben diese Kollektion an die Kongressbibliothek. Im frühen 21. Jahrhundert digitalisierte die Bibliothek die Prokudin-Gorski-Kollektion und machte sie für die Öffentlichkeit frei zugänglich. Zahlreiche russische Webseiten führen nun Teile dieser Kollektion auf.