Airbnb, eine der beliebtesten Plattformen für Ferienwohnungen weltweit, ist in Russland seit sieben Jahren auf dem Markt. Im April des Jahres 2017 bot die Seite über 42 000 Angebote in verschiedenen russischen Städten an. Angesichts der anstehenden Fußballweltmeisterschaft gibt es derzeit eine noch größere Nachfrage nach Wohnungen in den Gastgeberstädten, ebenso wie viele neue Angebote. Einige der russischen Vermieter wollen dabei durch ausländische Touristen profitieren, andere wiederum kaufen neue Airbnb-Wohnungen als Investition.
„Zehn Jahre lang hatte ich mein eigenes Reiseunternehmen und fand durch Airbnb oft ein Zuhause für meine Kunden. Ich wollte mich jedoch schon immer selbst um die Gäste kümmern. Also haben mein Mann und ich uns zwei Wohnungen gekauft und kaufen nun eine dritte“, sagt Irina aus Sankt Petersburg. Ihre beiden Appartements befinden sich im Stadtzentrum in einem alten Gebäude und sind für Ausländer konzipiert.
„Wir haben sie als Investition erworben. Wir haben den Innenarchitekten gebeten, eine ‚alte Atmosphäre‘ zu kreieren. Die Europäer wissen das zu schätzen. Eine Wohnung ist im alten Sankt Petersburger Stil gehalten – mit hohen Decken, schweren Vorhängen, die Farbe der Wände hat die gleiche Farbe wie die Wände der Eremitage, es gibt Wandlampen, Stuckarbeiten, hohe Sockel. Die zweite Wohnung ist eine Mansardenwohnung im romantischen Pariser Stil.“
„Ich bin oft in Europa und verstehe, was die Menschen brauchen. Deshalb mache ich vor Ort in Russland alles, damit sich die Gäste so fühlen, als wären sie zu Hause in Europa. Das Wichtigste dabei ist Geräumigkeit, Sauberkeit und Komfort. Der Rest sind Extras. In Russland ist es beispielsweise nicht üblich, Geschenke für Gäste zu hinterlassen. Das macht man nur, wenn die Wohnung einen Makel hatte und man sich bei den Gästen ‚entschuldigen‘ möchte. Meine Wohnungen an sich sind bereits ein Geschenk. Seltsame Beschwerden habe ich bisher jedoch nur von Russen erhalten. Ein Mann aus Moskau beschwerte sich, dass der Kühlschrank nicht kalt genug wäre, um sein Starkbier richtig abzukühlen. Ich musste googeln, um zu sehen, was das bedeutet.“
„Doch das ist die Ausnahme. In der Regel behandeln die Gäste die Wohnungen mit Respekt. Vielleicht, weil sie die Liebe sehen, die in sie hineingesteckt wurde. Ich putze selbst. Ich rede mit den Gästen, nehme ihre Reservierungen entgegen, treffe sie. Ich bin es gewohnt, ihnen zu vertrauen. Ich frage nicht einmal nach ihren Ausweiskopien. Ich habe keine Angst vor den Fußballfans –unterscheiden sie sich etwa von anderen Menschen? Ich habe bereits sieben Reservierungen für die Weltmeisterschaft. Ich werde die Gäste abholen und sie definitiv anmelden. Das Gesetz gibt einem dafür drei Tage. Das sind die Regeln, was soll ich tun? Sollten die Leute im Stadion angehalten werden und Probleme bekommen, hänge ich auch mit drin.“
In Bezug auf die kulturellen Unterschiede zwischen Russen und Ausländern merkt Pawel aus Sankt Petersburg an, dass die europäischen Gäste „weniger Komplexe“ haben und positiver gestimmt sind.
„Ein russischer Gast ist bis zur ersten Unannehmlichkeit gut drauf. Dann steht er plötzlich allem skeptisch gegenüber. Des Weiteren wollen Russen ständig Luxus um sich haben, selbst in einem Hostel. Die Europäer hingegen zahlen 120 Euro pro Nacht und nehmen so gut wie nichts mit, nicht einmal ein Badehandtuch“, meint Pawel.
„Einmal bestellte ich ein Taxi, um ein paar Schweizer zum Flughafen zu begleiten. Sie saßen derweil barfuß am Eingang auf ein paar Sesseln mit einer Teetasse in der Hand. Mein vorrevolutionäres Haus hat eine breite, schöne Treppe, runde Handläufe und ein riesiges Fenster. So ein Verhalten ist in der introvertierten russischen Kultur nicht normal. Ich selbst habe mich nie so verhalten, es wäre mir nie in den Sinn gekommen. Wir sind oft sehr besorgt darüber, was unsere Nachbarn sagen werden. Was ist, wenn man jemanden verärgert oder die Socken dreckig werden! Wir denken ständig über solche Dinge nach. Ausländische Gäste sind hingegen erstaunlicherweise sehr direkt. Ich war sogar etwas neidisch, dass sie so entspannt waren“, erinnert sich eine weitere Irina aus Sankt Petersburg. Sie besitzt eine weiße Mansardenwohnung in der historischen Gegend von Kolomna, in der sich beispielsweise der russische Nationaldichter Puschkin und der Maler Wrubel sehr gut auskannten.
„Ich habe einen Job, der von neun bis fünf geht. Der Hauptgrund, warum ich das mache, ist, um Kontakte zu knüpfen“, erklärt Irina. „Mit einigen Leuten freundet man sich sogar an und besucht sie dann. Ich denke, das ist die Grundessenz dieser Dienstleistung. Man hilft den Gästen, die Tickets für das Mariinskij Theater zu kaufen, erklärt, wie man Fahrräder ausleihen kann, gibt Insidertipps von Orten, die nicht in den Standardreiseführern stehen. Zumindest mache ich das.“
Irina hat den Preis nur um das Eineinhalbfache erhöht (auf ungefähr 140 Euro pro Tag) und kann nichts dazu sagen, „wie das andere Leute handhaben“. Sie hat immer noch Vorbehalte gegenüber der Weltmeisterschaft. „Ich denke, dass meine Wohnung eine gewisse Verhaltensweise vorgibt. Es ist eine romantische Mansarde, die ziemlich authentisch und weit weg vom Zentrum sowie den Bars ist, während die Fans wohl eher mitten im Geschehen sein wollen.“
In Moskau seien die Preise im Durchschnitt um das Drei- bis Vierfache gestiegen, sagt Natalia. Sie vermietet vier Wohnungen über Airbnb, wobei sie dieses Jahr absichtlich die Objektanzahl erhöht hat.
„Fast alle meine Wohnungen sind videoüberwacht – im Flur, zum Teil in der Küche und den Zimmern, bis aufs Schlafzimmer. Ich warne die Leute offen vor. Meine Verträge sind auf Englisch und ich nehme auch eine Kaution, für den Fall, dass etwas beschädigt wird. Ehrlich gesagt haben wir Angst vor dem, was die Fans anrichten könnten. Zeitgleich jedoch wollen wir Geld verdienen.“
Normalerweise kostet Natalias Studio in einem Stalin-Gebäude in der Nähe der WDNCh um die 4 000 Rubel, also umgerechnet um die 50 Euro pro Tag. Während der Fußball-Weltmeisterschaft jedoch liegt der Preis bei 11 500 Rubel, umgerechnet etwa 150 Euro. Sie wird die Fans nicht selbst anmelden. „Ich sage ihnen, dass ich physisch dafür keine Zeit habe. Niemand ist jedoch darüber verärgert. Ich habe allerdings schon viele Vorbehalte. Es sind alles Ausländer. Ich glaube aber, dass auch Russen in letzter Minute anfangen werden, aufzutauchen.“
Derzeit beschäftigt Natalia eine Haushälterin und ein paar andere Leute, die ihr mit den Gästen und der Öffentlichkeitsarbeit helfen. „Ich habe Angst, während dieser Zeit die Stadt zu verlassen. Ich kann meine Angestellten nicht alleine lassen. Deshalb werden wir einen Urlaub vor und nach der Meisterschaft machen. Ich kann mir vorstellen, was hier ablaufen wird – wir würden uns wie verrückt ärgern. Vor allem, weil wir auch etwas Geld verdienen wollen. Eine solche Chance sollte man sich also nicht entgehen lassen“, schlussfolgert sie.
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