Im Jahr 1997 war ich an der Fakultät für russische Sprache und Literatur in Skopje als Student eingeschrieben. Aufgrund meiner sehr guten Leistungen wurde ich für zwei Monate an die Staatliche Universität Moskau geschickt, um dort an der Sommerschule teilzunehmen. Zu dieser Zeit hatten wir in Mazedonien eine große wirtschaftliche Krise, dennoch gelang es meinen Eltern irgendwie, mich nach Moskau zu schicken. Mein erster Gedanke vor Ort war: „Wow! Ist das groß! Alles ist so groß hier!“
Man fuhr uns zum Hauptgebäude der MSU und ich konnte nicht glauben, dass wir genau in dem Gebäude leben würden, das ich bisher nur aus Zeitschriften und aus unseren Arbeitsbüchern kannte. Vor Ort wurde uns sogleich von einer netten Dame Tee und Kuchen serviert. Später begriff ich, dass ihre Gastfreundlichkeit keine Ausnahme, sondern die Regel in Russland war. Seitdem freue ich mich immer, wenn mich ein Russe zu sich nach Hause einlädt, da ich mir sicher sein kann, mit ihm eine schöne Zeit in einer herzlichen Atmosphäre zu verbringen. Russen interessiert es im Allgemeinen wenig, wer man ist, welche Hautfarbe man hat, woher man kommt oder wie reich man ist. Es geht ihnen vor allem um menschliche Interaktion und gegenseitigen Respekt – ein Charakterzug, den ich gerne von ihnen übernommen habe.
Da ich in einer Familie aufwuchs, in der viel gelesen und Kultur sehr geschätzt wurde, hatte ich das Glück, meine ganz eigene Sicht auf die Welt entwickeln zu können. Meine Leidenschaft für die russische Literatur und Kultur saß dabei so tief in mir, dass ich kein Problem hatte, mich in Russland kulturell anzupassen. Vor meiner ersten Reise nach Moskau war ich bereits ein großer Fan russischer Gedichte und konnte mich vor Ort endlich mit anderen darüber austauschen. Ich fing sogar an, meinen Freunden in Mazedonien Verse von Achmatowa und Majakowski vorzusingen und stellte bald fest, dass sie meine „Gesangseinlagen“ durchaus genossen.
Im Jahr 2007 zog ich schließlich als Dozent für die mazedonische Sprache nach Moskau, um an der MSU zu arbeiten. Ich wusste nicht, wie ich von den Studenten und meinen Kollegen empfangen und ob ich akzeptiert werden würde. Nach ein paar Wochen begannen meine Studenten jedoch, mit mir nicht nur während des Unterrichts, sondern auch außerhalb der Fakultät, zu interagieren. Auch meine Kollegen mochten mich und haben mich von Anfang an unterstützt. Nach dem ersten Semester hatte ich das Gefühl, dass jeder von ihnen ein echter Profi ist, denn während wir auf dem Balkan entspannt, langsam und nicht besonders konzentriert arbeiteten, sind Russen sehr ernst und leidenschaftlich in ihrem Job. Beides hat gewisse seine Vor- und Nachteile, doch die Arbeitsmoral der Russen hat mich privat und beruflich sehr beeindruckt.
Das Leben in einer Großstadt kann sehr grausam sein. In Skopje, der Hauptstadt von Mazedonien, war das Leben für mich bis dato um einiges einfacher – dort gab es immer einen Freund, der einen Freund hatte und mir helfen konnte, wenn ich mal Unterstützung brauchte. In Moskau habe ich gelernt, alleine zurecht zu kommen und mit der russischen Bürokratie umzugehen, und wir alle wissen, wie anstrengend das sein kann. Ich hatte und habe immer noch sehr enge Freunde dort, mit denen ich mich jedoch leider aufgrund der Entfernung, der Arbeit oder familiärer Verpflichtungen nicht täglich treffen kann.
Wenige, dafür aber wahre Freunde zu haben, finde ich besser, als ein großes Netzwerk an oberflächlichen Freundschaften zu besitzen. In Russland merkte ich, wie „russisch“ und „wahr“ meine Einstellung ist. Vor meiner Reise hatte ich zu Hause zwar eine Menge Bekannte gehabt, mit denen ich Kaffee getrunken, die Nächte durchgefeiert, zu Mittag gegessen und lustige Momente in meinem Leben geteilt habe. Aber durch meine wenigen engen Freunde in Russland habe ich gelernt, wie es ist, mich wirklich auf jemanden verlassen zu können. Lena, Ira, Ljoscha, Max Junior und Max Senior waren, egal, ob ich krank oder im Winter nahezu depressiv war, immer für mich da – dafür danke ich ihnen.
P.S.
Wenn ich mit der Erzählung meiner Geschichte fortfahre, würde ich euch nur mit Sicherheit langweiligen. Daher empfehle ich euch, einfach selbst nach Russland zu reisen und mit Russen Freundschaften zu schließen, über euch hinauszuwachsen und euer Leben mit dieser Erfahrung zu bereichern.
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