Ich wurde in der Kleinstadt Vinkovci im Osten Kroatiens geboren, was damals noch zu Jugoslawien gehörte. Obwohl Jugoslawien prinzipiell ein kommunistisches Land war, hatten Popkultur, Filme und Musik aus den Vereinigten Staaten und Westeuropa einen großen Einfluss. Russland hingegen erschien damals als riesiges, geheimnisvolles Land, das ebenfalls kommunistisch regiert wurde. In den Neunzigerjahren gab es jedoch kaum Neuigkeiten aus Russland. Da Kroatien selbst in einen Krieg verstrickt war, spielte Russland bald kaum mehr eine Rolle in unserem Leben. Russische Popkultur, Musik und Filme waren nicht Teil unseres Alltags. Eine Ausnahme bildete die Literatur. Russische Literatur war in unserer Schulzeit durchaus relevant und ist es noch heute.
Was hat sich also geändert? Wann und vor allem wie fand ich Zugang zu Russland? Das ist wohl die zentrale Frage dieses Artikels. Rückblickend kann ich kaum sagen, was die entscheidende Wende auslöste und in welchem Moment alles zusammenpasste.
Viele Leute sagen, Dostojewski, Tolstoi, Jessenin, Tarkowski oder irgendeine andere Persönlichkeit aus Russlands reichem kulturellen Erbe zogen sie zu Russland und der russischen Sprache hin. Leider – oder komischerweise – gehöre ich nicht dazu. Ich will mich auch gar nicht besonders hervortun. Ich versuche nur, mir und Ihnen zu erklären, was stattdessen geschah.
Man könnte sagen, mir ging ein Licht auf und ich bekam Lust, Russisch zu lernen. Es war wie eine Offenbarung. Ich erkannte: Ich liebe Russland, seine Kultur, seine Menschen, seine Sprache – einfach alles. Um es zuzuspitzen, ich heiße nun einmal Anton, und nach dem alten lateinischen Spruch „nomen est omen“ (zu Deutsch „der Name ist ein Zeichen“) konnte es ja gar nicht anders kommen.
Ich begann, russische Zeitungen zu „lesen”, meldete mich bei VKontakte an und suchte russische Leute, die mir auf meinem nicht ganz leichten Weg helfen konnten, Russisch auf eigene Faust zu lernen. Mithilfe meiner russischsprachigen Freunde lernte ich jeden Tag mehr dazu. Ich begann, in verschiedene Facetten der russischen Mentalität einzutauchen und bemühte mich, Schritt für Schritt alles zu verstehen, was mit Russland zu tun hat. Man könnte sagen, ich entschlüsselte Teile der mysteriösen russischen Seele.
Zum ersten Mal reiste ich 2015 nach Russland, genauer gesagt nach Moskau. Es war die größte Stadt, die ich je gesehen hatte und sehr beeindruckend. Die zweite Stadt, die ich auf meiner Russlandreise besuchte, war, wie könnte es anders sein, Sankt Petersburg. Bezüglich der Lebensweise und der Mentalität der Einheimischen sind Russland und Kroatien sich sehr ähnlich, doch Russland war trotzdem etwas ganz anderes. Es ist sehr schwer, dies Leuten zu erklären, die noch nie dort waren. Ich selbst war nur zehn Tage da – zehn unvergessliche Tage.
Fast zuerst fallen die russischen Manieren auf. Russen sind außergewöhnlich höflich gegenüber älteren Menschen, Schwangeren oder Frauen mit kleinen Kindern. Jeder bietet ihnen seine Hilfe an. Das ist ein ziemlicher Kontrast zum Grundsatz des Nicht-Lächelns, den Ausländer oft bemerken. Außerdem lesen Russen gern. Sie lieben es sogar. Auch in öffentlichen Verkehrsmitteln sind sie oft in Bücher versunken, was in anderen Ländern ja eher ungewöhnlich ist.
>>> Das Land des Nichtlächelns: Warum Russen nie die Zähne zeigen
Anfang 2016 stieß ich auf eine Anzeige über berufliche Aufstiegsmöglichkeiten bei Russia Beyond. Obwohl ich mir nicht die besten Chancen ausrechnete, schickte ich einfach eine Bewerbung per E-Mail und vergaß sie schnell wieder. Etwa einen Monat später war ich sehr überrascht, eine Antwort zu erhalten, und zwar nicht irgendeine, sondern eine Zusage! Ich konnte es nicht fassen. Ich kann es heute noch kaum glauben. Endlich bekam ich die Gelegenheit, mit russischen Menschen zusammenzuarbeiten. Es war ein kleiner, gelinde gesagt ein sehr kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer Schritt für mich.
Interessanterweise verbinden Menschen mit Russland sofort Winter und Kälte. Ich habe ein ganz anderes Bild im Kopf: einen heißen, sonnigen Tag. Witzig, oder? Gut, es könnte daran liegen, dass ich noch nie im Winter da war. Aber wenn Sie einmal im Sommer in den Süden Russlands fahren, zum Beispiel nach Astrachan, verstehen Sie, was ich meine.
Aber die Überschrift dieses Artikels ist „Wie Russen mein Leben veränderten“, und so viel habe ich dazu noch gar nicht gesagt, oder?
Dank Russen habe ich gelernt, die Mentalität kroatischer Menschen zu schätzen. Wie und weshalb? Wegen der vielen Gemeinsamkeiten und der Tatsache, dass ich auf meiner Reise nicht wenige Ausländer traf, die alle ihr Erstaunen darüber äußerten, wie aufrichtig und offen Russen sind.
Wegen Russen habe ich eine neue Sicht auf die Arbeit. Dauert ein Arbeitstag in Kroatien gewöhnlich von sieben Uhr am Morgen bis drei Uhr am Nachmittag, so arbeiten Russen 24 Stunden am Tag.
Russen haben mir eine ganz neue Welt eröffnet, eine, die ich vor dem schicksalhaften Moment, als alles ins Lot fiel, nicht kannte.
Es ist nicht leicht, all das aufzuschreiben und zu erklären. Womöglich liegt es an der geheimnisvollen russischen Seele, die man nicht versteht, sondern in die man sich von einer Sekunde auf die andere verliebt. So wie ich.