Victoria aus den USA: Wie Russen mein Leben veränderten

Russia-Beyond-Autoren aus aller Welt erzählen, wie die russische Mentalität ihre Weltsicht verändert hat. Victoria aus den Vereinigten Staaten verrät, warum ihre Reise nach Russland zum größten Abenteuer ihres Lebens wurde.

„Sei vorsichtig dort drüben. Das FBI untersucht jeden Amerikaner, der irgendwie mit Russland in Verbindung steht. Du solltest darüber nachdenken, dein Facebook-Profil zu löschen.“ Das sagte mir mein Großvater, als er sich von mir im Flughafen von San Francisco verabschiedete, und kurz bevor ich meine ersten Schritte in Richtung Russland, genauer gesagt Sankt Petersburg, unternahm. Aber seine Vorstellung von Russland – kalte Herzen, kalte Gesichter, kaltes Wetter – existiert nicht und ist ganz anders als die Wirklichkeit, in die ich hineingestolpert bin.

Amerika verlernen

Die Überbleibsel des Kalten Krieges haben vielen Amerikanern ein sehr negatives Bild von Russland vermittelt. Warum lächeln sich die Russen nicht an? Wie schlimm ist die Korruption wirklich? Was hat es mit dem Wodka auf sich? Es ist kein differenziertes Verständnis und besteht größtenteils aus Stereotypen, die von Filmen geschaffen wurden.

Vor nicht allzu langer Zeit führte ich mit einer Familie eine hitzige Diskussion über den Zweiten Weltkrieg und warum die Kapitulation der Nazis in Russland noch heute gefeiert wird. „Wir haben diesen Krieg gewonnen“, sagten sie mir mit einem gewissen Nachdruck. „Sie wären untergegangen, wenn wir nicht gewesen wären.“ Ich versuchte zu erklären, dass sie anscheinend nur die eine Seite der Kriegsgeschichte zu hören bekommen hatten und dass die Sowjetunion fast fünfmal mehr Opfer erlitten hatte als die Vereinigten Staaten, aber es spielte keine Rolle.

In bin in Amerika aufgewachsen, wo häufig dieses typische „wir gegen sie“-Denken vermittelt wird. Außerdem will „uns“ alles, was weit genug weg ist, schaden – und Russland ist ganz bestimmt keine Ausnahme.

Als ich in Sankt Petersburg gelandet bin, wurde ich von Ängsten vor Taschendieben und Korruption geplagt und hinterfragte meine Entscheidung, als junge Frau alleine hierher zu reisen. Stattdessen aber begegnete ich wirklich freundlichen Menschen, die bereit waren, alles stehen und liegen zu lassen, nur um mir, einer Fremden, zu helfen – und das einfach, weil ich sie gefragt hatte. Mehr als alles andere hat mich Russland gelehrt, dass jede Geschichte zwei Seiten hat und dass der eigene Geist in Wirklichkeit nie so offen ist, wie man vielleicht gedacht hatte.

Ich erkläre meinen amerikanischen Freunden ständig, dass Russen keine Fremden anlächeln, weil sie keinen Sinn darin sehen, eine Beziehung mit jemandem anzustoßen, den sie wahrscheinlich nie wieder sehen werden. Russen legen mehr Wert darauf, tiefe Verbindungen zu ihrer Familie und zu engen Freunden zu pflegen, als belanglose Nettigkeiten mit Fremden auszutauschen.

Russen brachten mir Aufrichtigkeit bei

„Hättest du gerne eine Tasse Tee?“

„Nein. Gib mir Kaffee.“

Die Reaktion von meinem Freund Sergej auf meine reine Formalität hat mich ehrlich gesagt aus der Fassung gebracht. In Amerika würde eine solche Interaktion Empörung auslösen, aber in Russland ist dieses Verhalten die Norm. Man lügt nicht, wenn man etwas möchte.

Russen tragen ihre Herzen auf der Zunge, mit all ihrer Freude und ihren Schmerzen. Deswegen reden sie auch nicht mit netten Formalitäten oder Lügen um den heißen Brei herum, sondern sagen direkt, was sie wollen.

Ebenso versuchen die Russen nicht, ihre Geschichte zu verschleiern. Stattdessen tragen sie sie in sich, sowohl das Gute als auch das Schlechte, und setzen sich öffentlich damit auseinander, anstatt es voller Schande zu verstecken.

Als ich einmal meine Freundin Dascha fragte, warum sie traurig aussehe, erwartete ich eine standardmäßige höfliche Antwort. Stattdessen erzählte sie mir ohne zu zögern, dass sie traurig war, weil ihr Großvater wohl bald sterben würde und sie sich nicht sicher war, ob sie es in ihre Heimatstadt schaffen würde, um seinen Geburtstag mit ihm zu feiern. Sie fing an zu weinen, ohne auch nur zu versuchen, die Tränen zu unterdrücken. Ich war erstaunt über die fehlende Scham, mit der sie ihre Gefühle zeigte. Meine Zeit in Russland hat mich gelehrt, dass es mehr Mühe braucht, eine höfliche Lüge als eine einfache Wahrheit zu erzählen, und dass Ehrlichkeit immer vorzuziehen ist.

Russen gaben mir Abenteuer

Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel man in Sankt Petersburg erleben kann – egal ob legal oder nicht. Diese Stadt voller Schönheit und Geschichte – und auch Blut – erblüht mit einem Geist, der zugleich gedankenvoll und abenteuerlich sowie historisch und modern ist.

Ich habe in Russland Dinge erlebt, die hätte ich mir niemals träumen lassen. In der kältesten Winterwoche gefrorene Kanäle entlangwandern, trotz meiner Höhenangst Dächer erklimmen oder allein in den Wald gehen, um Pilze zu sammeln. Es ist kein Fallschirmspringen, sondern eine ruhigere Art von Abenteuer – eines, das die Welt betrachtet und fragt: „Wie kann ich das Beste aus dem machen, was mir gegeben wurde?“ Den frechen Mut der Russen zu lernen, die Welt mit dem Kopf voran zu erobern und das Leben in vollen Zügen und uneinsichtig zu leben: Dies ist vielleicht das größte Abenteuer meines Lebens.

Jeder sollte mindestens einmal im Laufe seines Lebens nach Russland reisen. All die Vorurteile über unüberwindbare Differenzen und der vorherrschenden Gesetzlosigkeit verschwinden, sobald Sie einmal die Gastfreundschaft und Großzügigkeit der Russen erlebt haben.

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