Beschauliches zwischen Moskau und St. Petersburg: Tipps für ein perfektes Wochenende in und um Twer

Wenn Sie auf dem Weg zwischen den zwei russischen Hauptstädten mal ausspannen und durchatmen wollen, dann brauchen Sie ein Wochenende in dem hübschen Twer und seiner Umgebung.
Twer: Denkmal eines Lokalhelden - des Twerer Seefahrers und Indien-Reisenden Afanasij Nikitin

“Twer hat es schwer zwischen Moskau und Sankt Petersburg: Die Gebildeten und Wohlhabenden gehen weg. Alles was sie hier lassen, ist sch***e“, erzählte mir mal ein Taxifahrer aus Twer aufgebracht. Das ist natürlich sehr pessimistisch. Aber etwas Wahres steckt darin: Die Moskauer mögen sie hier nicht besonders. Vielmehr sind die Twerer überzeugt, dass ihre Stadt doch eigentlich hätte russische Hauptstadt werden sollen (aber solche Legenden kursieren auch in Jaroslawl und anderen ähnlich bedeutenden alten russischen Städten).

Aufgrund andauernder Streitigkeiten und kriegerischer Auseinandersetzungen mit den Moskauer Fürsten wurde Twer mehr als einmal eingenommen, geplündert und abgebrannt. Darum ist heute von dem alten Kreml und den Sakralbauten der „Goldenen Zeit“ Twers unter Michail Twerskoj heute kaum noch etwas in der Stadt zu sehen. Aber eines bemerken Sie sicher auf einer Stadttour durch Twer, und zwar, dass die Stadt gestern wie heute klar von der Nähe zu den zwei Hauptstädten Russlands auch profitierte und profitiert.

Vor allem Architekten „übten“ oft an Projekten in Twer, bevor sie größere Bauwerke in Moskau oder Sankt Petersburg verwirklichten.

Tag 1: Zu Fuß durch die russische Geschichte

Twer: Der Stadtpark verbindet Schauspielhaus und Philharmonie mit der Wolga, Puschkin und dem ausgefallenen Kino

Das sehen sie am besten bei einem gemütlichen Spaziergang am Ufer der hier noch recht schmalen Wolga. Der russische Strom entspringt unweit von Twer und ist hier darum noch klein. Von den neu renovierten Uferpromenaden aus sehen Sie fast alle wichtigen Sehenswürdigkeiten der Stadt. Im Winter können Sie außerdem über den zugefrorenen Fluss spazieren oder auf ihm Ski fahren.

Starten Sie am besten auf der Stepan-Rasin-Uferstraße. An den langen Reihen aus zweistöckigen alten Kaufmannshäusern werden regelmäßig Filme gedreht, wenn die Handlung im alten Moskau spielen soll. Gegenüber strahlt das weiß-türkise Frauenkloster der Heiligen Katharina in der Sonne. Wenn Sie Lust auf stille, ländliche Gottesdienste und schweigsames Gebet haben, können Sie die Kirche hier auch als Tourist besuchen.

Auf der anderen Seite der Twerza-Mündung in die Wolga wartet heute der Flusshafen auf sein endgültiges Ende. Früher befand sich an seiner Stelle lange das älteste Kloster der Region. Die Chroniken nennen das Jahr 1206 als Gründungsdatum. Unter Stalin jedoch wurde das Kloster abgerissen, nur die kleine Maria-Erlöser-Kirche steht bis heute. An der Stelle des Klosters ließ Stalin dann 1938 das Gebäude des Flusshafens in seinem geliebten monumentalen Architekturstil errichten. Nur bedachten die Baumeister damals die Eigenschaften des Bodens nicht: Die gesamte Landzunge ist praktisch nur eine Anhäufung von Erde und nicht für so große Gebäude ausgelegt. Das Ergebnis zeigte sich im Sommer 2017, als nachts plötzlich Teile der Rotonda einbrachen.

„Europäische“ Brücken und „asiatisches“ Kino

Twer: Die Alte Brücke ist ein Abbild der berühmten Budapester Stahlbrücke.

Wenige hundert Meter flussaufwärts kommen Sie an die sogenannte „Neue Brücke“. Der Steinbau ist teilweise ein Geschenk Sankt Petersburgs. Als die Behörden in Leningrad, wie Sankt Petersburg damals hieß) 1956 ihre eigene älteste Brücke in der Stadt renovierten, schenkten sie die älteren Teile, die sie selbst nicht mehr gebrauchen konnten, dem kleinen Kalinin – so hieß Twer zwischen 1931 und 1990. Heute sind die Anwohner ganz stolz auf ihre „Petersburger Brücke“.

Auch die zweite, die „Alte Brücke“ hat eine recht „europäische“ Geschichte. Denn Sie ist eine Kopie der berühmten Stahlbrücke in der ungarischen Hauptstadt Budapest. Wenn Sie am Ansatz der großen „Stahlsegel“ die richtige Perspektive finden, werden Sie kaum noch unterscheiden können, ob Sie nun an der Wolga oder der Donau stehen.

Zwischen den beiden Brücken ist das kulturelle Zentrum Twers eingeschlossen.  Allen voran das Kinotheater „Swesda“ (deutsch: Stern) ist ein echter Hingucker. Es entstand 1937 in dem damals populären Avantgarde-Stil der sowjetischen Architektur. Eine städtische Legende besagt jedoch außerdem, dass im Vorfeld des Baus zwei Pläne vertauscht worden seien – der Bauplan eines Kinos für die heutige usbekische Hauptstadt Samarkand und eben für Twer. Das Twerer Kino sollte in dieser Form also angeblich eigentlich in der zentralasiatischen Metropole stehen. Wahrscheinlich aber erklären sich die Menschen hier damit aber auch nur den für die Region ungewöhnlichen Baustil.

Die Twerer Reisenden Puschkin, Nikitin und Katharina die Große

Twer: Alexander Puschkin am Wolgaufer

Nach einer kleinen Runde durch den gepflegten Stadtpark erreichen Sie nun wieder das Wolgaufer, wo schon der russische Dichter Alexander Puschkin auf Sie wartet. Puschkin war oft in und um Twer unterwegs und hat darum in der Stadt auch gleich mehrere Denkmäler bekommen. An der anderen Flussseite steht derweil Afanasij Nikitin, der Lokalheld und Weltreisende aus Twer, der als erster Russe übers Meer bis nach Indien reiste. Jedoch nie mehr von dieser Reise in seine Heimatstadt zurückkehren sollte.

Und dann stehen Sie auch schon vor der wichtigsten Sehenswürdigkeit Twers: dem jüngst wiedereröffneten Zarenpalst von Katharina der Großen! Erst seit Januar können Sie hier wieder die Sammlung der Twerer Staatlichen Gemäldegalerie bewundern, nachdem das Schlösschen über fünf Jahre lang zur Restaurierung geschlossen war.

Der Palast wurde innen und außen auf Grundlage von alten Bildern und Fotos restauriert, aber auch die Galerie an sich ist schon einen Besuch wert: Von altrussischer geistlicher Kunst und Ikonen über die russischen Klassiker Schischkin, Ajwasowskij und Repib bis hin zu sowjetischem Propaganda-Porzellan sind hier bedeutende Einzelstücke aus jeder Kunstepoche zusammengetragen.

Twer: Der renovierte Zarenpalast Katharina der Großen beherbergt wieder die Twerer Staatliche Gemäldegalerie.

Fußgängerzonen für Hungrige und Durstige

Für einen schmackhaften Abschluss Ihres ersten Tages in Twer sorgen dann am Abend sicher die zahlreichen Cafés, Restaurants und Bars auf den zwei wichtigsten Twerer Fußgängerzonen Trjochswjatskaja – auch “Twerer Arbat” genannt – und Radyschtschewa. Obwohl das Zentrum vielleicht mehr an eine Kleinstadt erinnern mag, finden Sie hier ein gastronomisches Angebot für jeden Geschmack: Neben einem echten italienischen Restaurant mit echtem italienischem Käse aus Russland finden Sie klassische russische Küche auf gemütlichen Innenhof-Terrassen sowie kuschelig-modische Cafés mit frisch gemahlenem Kaffee und selbstgebackenen Desserts.

Tag 2: Entdecken Sie die versteckten Schönheiten der russischen Provinz

Für den zweiten Wochenendtag haben Sie nun mehrere Möglichkeiten, um aus dem Stadtlärm auszubrechen und sich der puren russischen Landluft hinzugeben. Hier sind drei Varianten in der Twerer Umgebung:

1 Stariza – malerische Geistlichkeit am Flussufer

Stariza: Direkt am Wolgabogen liegt hier das beeindruckende Mariä-Himmelfahrts-Kloster.

Wenn Sie in der Mitte der zentralen Brücke in Stariza (rund 65 Kilometer nordwestlich von Twer) stehen, werden Sie begeistert sein: Unter Ihren Füßen raushct die kleine Wolga und um Sie herum erheben sich an drei Seiten der Flussufer verschiedene Klöster mit Dutzenden alten russischen Kirchen. Wo sollten Sie sich noch russischer fühlen als hier?

Stariza wurde im 13. Jahrhundert als eine Flussfestung gegründet. Der alte Kreml jedoch überstand auch hier die schwierigen Zeiten an der Grenze zwischen mehreren Fürstentümern nicht. Später entwickelte sich das Städtchen zu einem geistlichen Zentrum der Region. Das berühmteste Kloster hier ist das Mariä-Erlösungs-Kloster, gegründet im 16. Jahrhundert.

Wenn Sie genug Zeit mitgebracht haben, können Sie auch noch das Landhaus der Familie Osip-Wulf in Bernowo besuchen, wo Alexander Puschkin regelmäßig bei seinen Freunden und Bewunderern zu Gast war. Außer dem hübsch gepflegten Park direkt an der heutigen Museumsvilla (rus) lohnt sich auch ein Spaziergang durch dieses authentische russische Dorf mit Holzhäusern, ohne Zäune. Fühlen Sie sich ruhig einmal wie ein richtiger russischer Dichter!

2 Torschok - golden bestickte Geschichte

Torschok: Hoch über der Twerza thront das Kloster der Heiligen Boris und Gleb.

Das alte Handelsstädtchen Twer liegt am Fluss Twerza etwa 60 Kilometer westliche von Twer. Seine Lage begünstigte seine Rolle im Handel zwischen den zwei Hauptstädten. Denn wie Twer klemmt auch Torschok irgendwie zwischen Moskau und Sankt Petersburg. 1478 wurde Torschok von dem Moskauer Fürsten Iwan III. eingenommen. Gleichzeitig aber entwickelte sich Torschok seit der Gründung von Sankt Petersburg 1703 zum wichtigsten Güterumschlagpunkt für die neue Hauptstadt an der Newa.

Mit der Post- und Reisestrecke zwischen Moskau und Sankt Petersburg kamen auch immer wieder hohe Gäste in das kleine Städctchen: im 18. Jahrhundert Katharina die Große und ihre Gefolgschaft, im 19. Jahrhundert Puschkin, Gogol, Turgenew, Tolstoi uvm.

Außer im Museum der örtlichen Goldstickerei-Manufaktur lohnt sich auch ein Besuch in dem beeindruckenden Kloster der Heiligen Boris und Gleb am gegenüberliegenden Twerza-Ufer.

3 Kimry – hölzerner Jugenstil im russischen Alltag

Jugendstil aus Holz - eine seltene Architekturform

Während Sie Stariza und Torschok praktisch auch an einem Tag besuchen können, wenn Sie früh genug aufstehen, liegt Kimry in der entgegengesetzten Richtung – etwa 100 Kilometer östlich von Twer. Dieses Städtchen ist allen voran ein Ausflugstipp für Architektur- und Holzhausfans.

Obwohl Kimry schon 1546 in einer Urkunde des Zaren Iwan des Schrecklichen erwähnt wurde, bekam es erst im Revolutionsjahr 1917 Stadtrechte. Wie fast alle Städte an der Reisetrasse Moskau – Sankt Petersburg war auch Kimry ein Handelsstädtchen. Besonders berühmt wurden die hier hergestellten Lederschuhe und -stiefel, die 1862 sogar bei der Weltausstellung in London vorgestellt worden. Warum, das können Sie sich im örtlichen Heimatkundemuseum (rus) anschauen.

Die berühmteste Sehenswürdigkeit Kimrys sind jedoch seine ganz besonderen Holzhäuser: im Jugendstil. In dieser Anzahl und Dichte gibt es sie so nur in Kimry, denn in reicheren Städten wurde zur Jahrhundertwende bereits mit Stein gebaut.

Anfahrt und Verkehrsmittel:

Vom Leningrader Bahnhof in Moskau aus können Sie ganz bequem mit den neuen “Lastotschka”-Regionalbahnen nach Twer fahren (täglich fast jede Stunde, Tickets an Vorortbahn-Automaten ohne Pass). Außerdem halten auch einige der zahlreichen „Sapsan“-Schnellzüge in Richtung Sankt Petersburg in Twer, ebenso wie sämtliche gewöhnlichen Fernzüge an die Newa. Natürlich gibt es auch Busse und Minibusse, aber die stecken häufig im Moskauer Umland im Stau fest.

Von Sankt Petersburg aus können Sie ebenfalls einige der “Sapsan”-Schnellzüge in Richtung Moskau bis Twer nehmen oder aber gewöhnliche Fernzüge.

In und um Twer steht Ihnen das volle ÖPNV-Programm zur Verfügung: Straßenbahnen, Busse, Trolleybusse, „Marschrutka“-Minibusse und günstige Taxis. Ins Twerer Umland fahren regelmäßig Minibusse vom Hotelvorplatz gegenüber dem Eisenbahnhof ab.

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