Es ist 1970. Ein junger Mann aus dem amerikanischen Süden kommt am Moskauer Flughafen Scheremetjewo an. Es ist seine erste Reise in die Sowjetunion. Er reist mit einer Gruppe von Slawisten-Kollegen aus den USA. Bei sich trägt er eine kleine Konika-Kamera und zwei Kodakfilme mit je 36 Bildern, die er extra für diese Reise gekauft hat.
Der junge William Brumfield war damals Student an der Universität von Kalifornien in Berkeley. Über Fotografie oder russische Architektur wusste er damals noch nicht viel und hatte auch noch nicht vor, stunden- oder tagelang in Zügen zu verbringen und auf den Vordächern russischer Kirchen zu liegen, um das beste Foto zu machen.
Aber heute ist Brumfield der wohl bekannteste Experte für russische Architektur, der einzige amerikanische Stipendiat der Russischen Akademie für Architektur und Bauwissenschaften und der Russischen Akademie der Künste. Mehr als 100.000 Fotografien wichtiger architektonischer Stätten in ganz Russland stammen von ihm.
Aber wie kam es dazu? Warum hat er sich entschieden, sein den alten russischen Kirchen zu widmen?
Zu Hause missverstanden
"Während meiner ersten Reise, im Sommer 1970, öffnete mir Russland buchstäblich die Augen für mein eigenes Talent. Dort habe ich angefangen zu fotografieren. Als ich dann in die USA zurückkam und die beiden Filmrollen entwickelte, war ich erstaunt über die Qualität der Bilder. Ich entschloss mich schnell, für ein Jahr lang als Promovierender an die Leningrader Universität zurückzukehren."
Während der nächsten paar Jahre nach der Promotion experimentierte Brumfield als Assistenzprofessor in Harvard mit Fotografie und fand sogar einen Verlag in Boston für ein Buch. Aber das war leichter gesagt als getan. Die amerikanische Wissenschaft unterstützte Brumfields Interesse an der russischen Architektur nicht.
"Die Slawistik-Programme an den Top-Universitäten waren weder an einem echten Spezialisten für russische Architektur noch an Kunsthistorikern interessiert. Diese angesehenen Universitäten verfügen über wesentlich größere Ressourcen als die, die mir letztendlich Zuflucht gewährt hat – die Tulane University; dennoch war ihr Mangel an Vision – in jedem Sinne des Wortes – allgegenwärtig. Diese Ressourcen waren für mich geschlossen. Ich führte einen Partisanenkampf, der das Beste aus allen Ressourcen und Verbündeten machte, die ich in den USA und in Russland finden konnte."
Verfolgt vom KGB
Mit Hilfe von Freunden gelang es dem jungen Brumfield, eine Position im Moskauer Puschkin-Institut zu bekommen. Als Direktor einer amerikanischen Studentengruppe konnte er dann auch wieder einmal Russland besuchen und seine fotografischen Träume erfüllen.
"Ich habe meine Studenten praktisch nicht gesehen, ich war verrückt nach Moskau und anderen Städten, wo ich Bilder aufnehmen wollte."
Es gab jedoch eine bedeutende Einschränkung seiner Reise. Wie amerikanische Diplomaten durfte er sich nicht weit von der sowjetischen Hauptstadt entfernen und wurde stets genau vom KGB beobachtet.
"1972 war ich ganz verrückt nach der Kirche der Fürbitte der Heiligen Jungfrau am Nerl. Ich war einmal dort gewesen, wollte aber noch Bilder aus einer anderen Perspektive machen. Also schloss ich mich heimlich dem Ausflug einer anderen Gruppe vom Puschkin-Institut an, wurde aber schnell entdeckt. Ich kam bis Wladimir und ging dann allein zur Kirche. Als ich ankam, waren das Wetter sehr schlecht, Umbauarbeiten im Gange und meine Erwartungen enttäuscht. Zur gleichen Zeit fühlte ich, dass mich jemand beobachtete. Zwei Männer standen in der Nähe und machten Fotos von mir. Wir unterhielten uns kurz: Ich sagte: ‚Was für ein schönes Denkmal‘, und einer antwortete ‚Ja‘ und fügte dann hinzu: ‚Der Weg des Volkes wird nicht zu groß sein.‘ Dabei zitierte er Puschkin. Es war ein seltsames Treffen, aber Schlimmes passierte nicht. Der KGB wusste, dass ich keine Gefahr war."
Russische Kirchen für ein globales Publikum
Später reiste Brumfield, auch um Restriktionen zu vermeiden, immer mehr heimlich mit seinen russischen Freunden, zum Beispiel Dr. Alexej Kometsch, dem Direktor des Moskauer Instituts für Kunstgeschichte. Kometsch war ein leidenschaftlicher Verfechter der russischen Denkmalpflege.
Im Jahr 1983 erschien dann auch das erste von Buch Brumfields „Gold in Azurblau: Tausend Jahre russische Architektur“. Darin befanden sich zunächst nur Bilder von den Orten, die er auch offiziell hatte besuchen dürfen. Mit der Zeit und weiteren Büchern reiste er, wohin er wollte, und dokumentierte immer mehr wichtige Orte.
"Ich habe alle meine Wetten auf diese Arbeit gesetzt, und es war meine Sturheit, die mir geholfen hat, meiner Leidenschaft nachzugehen."
Heute ist Brumfield Professor für Slawistik an der Tulane University. Er verfasst regelmäßig Artikel, schreibt Bücher, hält Vorträge und betreut elektronische Fotoarchive. Über alle ihm zur Verfügung stehenden Kanäle trägt er die russische Sakralarchitektur in die Welt hinaus.
Ein wichtiger Einfluss auf Brumfields Entscheidung, Russland zu erkunden, war das Treffen seines Vaters mit den Russen.
Schicksal, Wahl und zweites Zuhause
"Mein Vater, der 1895 in der Nähe eines Weilers nördlich des Lake Pontchartrain an der Grenze zwischen Mississippi und Louisiana geboren wurde, war die erste Person, die ich kannte, die jemals überhaupt Russen gesehen hatte, und zwar auf sehr ungewöhnliche Weise. 1918 diente er im 6. Marine Regiment als Teil der American Expeditionary Force in Frankreich. Gegen Ende jenes Jahres stieß er auf Russen, die zu einem wenig bekannten, aber beträchtlichen russischen Kontingent in der französischen Armee an der Westfront gehörten. Er hat die Erfahrung nie vergessen. Er sagte mir, dass die Russen unsere Verbündeten seien, dass wir niemals gegen sie kämpfen sollten."
Brumfield selbst kann sich auch persönlich nicht an negative Momente oder Konfliktsituationen mit Russen erinnern. Man habe ihn immer mit Liebe und Respekt für seine Arbeit behandelt.
"Eine Brücke zwischen Russland und dem Westen", "eine einzigartige Person, die durch ganz Russland gereist ist, für die unser Land seine zweite Heimat geworden ist" – das sagen Russen oft über ihn.
"Amerikaner denken oft in Stereotypen. Während einige Kollegen die Arbeit, die ich mache, verstehen, besucht die Mehrheit unserer Slawisten selten Russland. Das macht mir Sorgen. Jeder, der die russische Kultur schätzt, sollte es sehen, aber unsere Akademiker neigen dazu, in engen Kategorien zu denken. Ich tue mein Bestes, um einen Partisanenkampf gegen diese Blindheit zu führen. Ich widmete mein Leben dem Studium der russischen Kultur in Bildern, nicht nur Worten. Ich habe meine Wahl getroffen und den Preis bezahlt, aber ich bereue es nicht. "
Dieser Artikel ist Teil unserer neuen Serie bei Russia Beyond: „Brückenbauer“. Hier stellen wir Menschen vor, die allen politischen Schwierigkeiten zum Trotz zwischen Russland und anderen Ländern der Welt Brücken schlagen.
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