Hugh aus England: Wie Russen mein Leben veränderten

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HUGH WILLAN
Russia-Beyond-Autoren aus aller Welt erzählen, wie die russische Mentalität ihre Weltsicht verändert hat. Hugh aus England sagt, dass er fasziniert ist, wie sehr sich das Land von Großbritannien unterscheidet. Dennoch fühlte er sich stets zu Hause.

So seltsam es auch klingen mag, aber es ist schwierig für mich, einen Bereich in meinem Leben zu finden, den die Russen nicht beeinflusst haben. Mein Streben, Russland, seine Sprache, seine Kultur und seine Menschen zu verstehen, begann bereits in der Schule und hat mich in meinen Jugendjahren nachhaltig beeinflusst. Insbesondere den Menschen, denen ich vor Ort begegnet bin, werde ich für immer dankbar sein, auch, wenn ich nicht denke, dass ich sie beim Namen nennen sollte – sie wissen auch so, wer sie sind. Stattdessen finde ich es viel interessanter zu ergründen, auf welche Art und Weise sie meinen Blickwinkel und mein Verständnis von Leben und Politik beeinflusst haben.

Das Leben in Russland, außerhalb von Moskau, ist nicht immer so schnell und hektisch, wie viele Europäer es vielleicht vermuten würden. Suppen köcheln einsam vor sich hin, Züge rattern vorbei, die Bürokratie legt einem ab und an Steine in den Weg und sogar die Auszahlung des Gehalts braucht seine Zeit. Langsam aber sicher beeinflusst das sogar die geschäftigsten Personen, die – wie ich – lernen, Geduld zu haben.

Früher hatte ich zum Beispiel Angst, dass ich mit meinem Leben nicht vorankomme – ich habe sie natürlich immer noch, aber mit Sicherheit nicht im selben Maße wie zuvor. Die Russen haben mir beigebracht, dass es wichtig ist, die Dinge im Leben nicht zu erzwingen, indem man verzweifelt versucht, jedem zu zeigen, wie beschäftigt und wichtig man ist. Vielmehr sollte man ab und zu auf einer Bank sitzen bleiben um die Sonne oder den fallenden Schnee auf dem Gesicht zu spüren.

Es ist schwer diese Mentalität in Worte zu fassen, aber Russland machte mir mit seinem unbarmherzigen Klima und seiner Größe bewusst, wie wenig Kontrolle ich tatsächlich über mein Leben besitze. Das machte es schließlich viel einfacher, geduldig zu sein. Die ultimative Geduldsübung ist wohl die Transsibirische Eisenbahn, die als gute Metapher für das Leben in Russland dienen könnte – wo man oftmals die langen Tage in einem schlecht dekorierten Restaurant verbringt und den durch die Wildnis ratternden Rädern zuhört, während man sich fragt, ob es das alles wert ist. Sobald man jedoch den Baikalsee sieht, weiß man, dass die Antwort „ja“ lautet.

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Diejenigen, die mit Russland weniger vertraut sind, greifen oft auf Stereotypen zurück, wenn sie das Land und Leute beschreiben. Am meisten ärgert mich die Vorstellung, dass die Menschen in Russland zu bedauern sind. Das liegt daran, dass die Russen, die ich getroffen habe, glauben, dass ein grundloses Lächeln ein Akt der Dummheit sei. Ich stimme ihnen darin zwar nicht zu, aber ich schätze ihre Ehrlichkeit. Die Russen waren es auch, die mir beigebracht haben, wie wichtig es ist, sich selbst und anderen gegenüber ehrlich und aufrichtig zu sein. Ich habe gehört, dass es vielen russischen Frauen schwerfällt, sich ihren englischen Freunden wirklich nahe zu fühlen, weil sie ihre Gefühle immer mit dem berühmten englischen Humor überspielen. Von Zeit zu Zeit merke ich das auch an mir selbst, aber ich glaube, dass ich mittlerweile geübter darin bin, emotional ein wenig aufrichtiger zu sein. Wenn ich unglücklich bin, mache ich den anderen nicht mehr vor, dass ich es nicht bin, und mag es mittlerweile sogar, darüber zu sprechen.

Meine Erfahrung zeigt, dass jeder sich wahrscheinlich irgendwann mal genauso gefühlt hat. Das Leben ist nie einfach, weder in Russland noch irgendwo sonst. Es ist jedoch ihre Ehrlichkeit und ihr unvergleichlicher Humor, die die Russen vereint, wenn sie sich beispielsweise bei einer Tasse Tee einen Witz erzählen, in dem auch immer ein Körnchen Wahrheit steckt. Obwohl dies wahrscheinlich für die meisten Kulturen stimmt, komme ich nicht umhin zu glauben, dass das besonders für die Russen zutrifft. Ich mag mich bei der folgenden Aussage vielleicht etwas weit aus dem Fenster lehnen, aber ich bin versucht zu sagen, dass genau dieser Aspekt des russischen Volkes der Grund dafür ist, dass Russland solch tiefgründige und inspirierende Literatur hervorgebracht hat.

Meine Zeit in Russland hat mir also sehr viel gegeben und beigebracht. Durch die Gespräche und die praktischen Dinge des Lebens erhielt ich die Möglichkeit, mein eigenes Land in einem objektiven Licht zu sehen. Mit Blick auf Großbritannien sehe ich jetzt sowohl die Schönheit als auch die Gemeinheit. Es gibt so viel, was wir Briten für selbstverständlich halten – wie frisches Trinkwasser, das Vertrauen in unsere Demokratie, unsere Institutionen, unser Gesundheitssystem, unsere Rente und so weiter. Aber manchmal ist eine gewisse Distanz nötig, um all diese Selbstverständlichkeiten wieder schätzen zu lernen. Ich merke jetzt, wie seltsam es ist, dass wir die älteren Menschen in Altersheimen unterbringen, dass wir so viel Zeit damit verschwenden, uns Gedanken darüber zu machen, welcher Gesellschaftsschicht wir angehören und wie wir uns bemühen, uns vorhersehbar zu verhalten. Vielleicht sind das aber auch nur ich und meine eigenen persönlichen Dämonen, die sich hier – zumindest ehrlich – zu Wort melden.

Zahlreiche Gespräche mit Russen über alle möglichen Themen haben mir ermöglicht, eine gesunde Introspektion und Debattenführung zu entwickeln. Es ist offensichtlich, dass Russland, wie jedes Land, so seine Probleme hat, dennoch ist es immer eine gute Idee, sich eine zweite Meinung einzuholen. Ich erinnere mich gerne an einen Moment im Zug nach Sankt Petersburg, in dem ich während der Fahrt neben einem Geschäftsmann aus Moskau saß und mit ihm über Politik diskutierte. Ich muss an die 20 Minuten lang die verschiedenen Stärken des britischen Parlamentarismus, die brillanten Machtverhältnisse, die fiebrigen Debatten im Unterhaus und weitere Aspekte geschildert haben. Der Mann hörte mir geduldig zu, wartete, bis ich fertig war, lächelte dann und fragte: „Was ist besser, Hugh, wenn es eine falsche Stimme oder tausend falsche Stimmen gibt?“ Ich wusste darauf keine Antwort. Ich sah ihm zu, wie er an seinem Cognac nippte, sich in seinen Stuhl zurücklehnte und seine Augen schloss. Bis heute denke ich immer noch ab und zu über diese Frage nach.

Es bleibt mir nur hinzuzufügen, dass die Russen mein Leben auf so vielen Ebenen nachhaltig beeinflusst und verändert haben, dass es nicht möglich ist, sie alle hier aufzuzählen. Für mich persönlich war und bleibt Russland eine kontinuierliche Quelle der Neugier, Abenteuerlust und Freundlichkeit.

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