Welche Stadt ist typisch russisch? Ein Amerikaner macht sich auf die Suche nach dem wahren Russland

Ben Davis, Alexander Kislow
Ein in Sankt Petersburg lebender amerikanischer Schriftsteller hat die Russen gefragt, welche Stadt ihres Landes sie „typisch russisch” finden – hier sind die Antworten.

Seit nun zwei Jahren lebe ich in Sankt Petersburg und werde oft gefragt, ob mir Russland gefällt. „Ja, sehr gut”, antworte ich immer. Und in 75 Prozent der Fälle heißt es dann: „Das liegt daran, dass du in Sankt Petersburg lebst. Das ist nicht das wahre Russland.” Also habe ich die Russen zu diesem Thema befragt  und folgendes herausgefunden.

Die Frage: „Wenn Sankt Petersburg nicht Russland ist, was dann?”

Die Antworten:

Konstantin Muromtsew aus Stawropol sagt:

„Das wahre Russland ist die endlose sibirische Kälte, die hohen Berge im Kaukasus und Ural, und so weiter.” Und er fügte hinzu: „Ich glaube, Sie sind ein amerikanischer Spion, Kamerad!”

Pawel aus Sankt Petersburg hat eine klare Meinung:

„Zurzeit ist Sankt Petersburg die russischste Stadt überhaupt, weil sie die besten Werte repräsentiert. Von hier stammen die größten Geister, die Russland und die Welt hervorgebracht haben. Sankt Petersburg ist ein Idyll für Russen. Es steht für alles Schöne, was dieses Land zu bieten hat. Nur diejenigen, für die das Glas sowieso immer halbleer ist, denken, dass Sankt Petersburg nicht russisch ist.”

Newski-Prospekt in Sankt-Petersburg

“@foxherestuff” aus Sankt Petersburg und Jekaterinburg empfiehlt das Werk „Yöburg” (rus) von Alexei Iwanow, eine Dokumentation über Jekaterinburg vom Zusammenbruch der UdSSR bis heute.

Julia, die in Sankt Petersburg geboren und aufgewachsen ist, schickte dies:

Küsse sie alle! Ein Filmtrailer mit englischen Untertiteln

Jegor, der in Sankt Petersburg lebt, antwortete:

„Zwanzig Prozent der Bevölkerung des Landes lebt in Dörfern, von der verbleibenden urbanen Bevölkerung leben 27 Prozent in Städten unter 100 000 Einwohnern. 40 Prozent, das sind 60 Millionen Menschen, leben in sehr kleinen Gemeinden. Dort gibt es oft kein Kino, keine Schwimmbäder oder die einfachsten Annehmlichkeiten für die Bürger. Ein positives Beispiel ist aber Glasok, wo Schüler eine Webseite über ihr Dorf (rus) erstellt haben. Es zeigt sich, dass es dort sehr heimelig ist.  

Das Dorf Glasok

>>> "Natur, Freunde und Freiheit": Kinder locken Touristen in ihr russisches Dorf

Es gilt zudem, dass je näher eine Kleinstadt an der Großstadt liegt, desto deprimierender ist es dort und die Menschen gehen fort, um Arbeit zu finden. Im Dorf bleiben dann nur wenige zurück.“

Er empfiehlt den Film „4” von Ilja Chrschanowski. Der vierte Teil, die Reise eines Stadtmenschen in ein Dorf, wird als Reise in die Hölle dargestellt.

Aj aus Ufa sagt:

„Russland ist alles außer Moskau, Sankt Petersburg, Kaliningrad und Grosny. Der Kaukasus ist nicht Russland und auch nicht Primorje. Ich finde, am russischsten ist Russland westlich des Urals und mindestens 400 Kilometer entfernt von den Großstädten. Auch Sibirien ist Russland, aber in erster Linie ist es Sibirien und zählt deshalb nicht.“

Nordkaukasus

Julia aus Nowokusnezk verweist auf ein Projekt über russische Monostädte (eng), die nach dem Fall der Sowjetunion untergingen. 

Alexander aus Sankt Petersburg empfiehlt die Werke des Künstlers Isaak Lewitan zu betrachten. Das Projekt „Russische Sehnsucht“ (eng) vom Jüdischen Museum in Moskau berichtet über den Künstler Isaak Lewitan und seine Gemälde, mit denen er ein Phänomen geschaffen hat, das später als "Psychologie der russischen Landschaft" bezeichnet wurde.

Und Julia teilt mit uns diese Ansicht über ihre Heimatstadt Krasnodar, die sie als „großes Dorf” bezeichnet:

„Wenn Du New York für eine Stadt der Gegensätze hältst, warst Du noch nie in Krasnodar. Stell Dir ein 22stöckiges gläsernes Gebäude mitten in der Stadt vor. Es ist ein Luxushotel, davor stehen die teuersten Fahrzeuge und die Gäste tragen die teuerste Kleidung. Wenn Du die Straße überquerst, kommts Du zu einem Markt und da zeigt sich ein ganz anderes Bild. Dort findest Du Menschen, die von dem leben, was in ihren Gärten wächst. Ihre rauen Hände zeugen von der Gartenarbeit. Ihr Lebensunterhalt hängt von dem ab, was sie ernten. Das sind einfache Menschen aus den Vororten. In jeder Stadt gibt es arme Leute. Aber nur in Krasnodar gibt es Landwirte vom Kollektiv, die in die Stadt kommen, um dort zu arbeiten und zu studieren. Daher ist diese sich entwickelnde Stadt eng mit kollektiven Farmen verbunden. Krasnodar ist ein großes Dorf mit einem Hauch von Welt. Aber die Menschen bleiben einfach, auch wenn sie gelegentlich Rolls Royce fahren. In Moskau heißt es über die „Südländer”: Man kann zwar einen Jungen aus dem Dorf herausbringen, aber man kann das Dorf nicht aus dem Jungen herausholen.“

Der Krasnodar-Stadion

*Benjamin Davis ist ein amerikanischer Journalist, der in Sankt Peterburg lebt.  

>>> Warum Moskau und Sankt Petersburg nicht „wirklich“ russisch sind

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