Boris Kustodijew: Wie ein gelähmter Künstler mit dem russischen Provinzleben berühmt wurde

Kultur
ALEXANDRA GUSEWA
Kein anderer Maler liebte das provinzielle Russland so sehr wie er. Wenn Sie pummelige Frauen in farbenfroher Kleidung, Volksfeste und Provinzmärkte in einem Gemälde sehen, dann haben Sie es sicher mit einem Kustodijew zu tun.

Boris Kustodijew (1878 – 1927) begann als Porträtist. Er studierte an der Sankt Petersburger Kunstakademie und half seinem Lehrer, dem berühmten Maler Ilja Repin, sogar bei dessen Monumentalwerk "Die Festsitzung des Staatsrates am 7. Mai 1901, dem hundertsten Jahrestag seiner Gründung”.

Später wechselte der junge Kustodijew zur Genremalerei und zog in die kleine Stadt Kostroma an der Wolga, um nach der echten „Russischen Seele“ zu suchen. Dort fand er dann, was später alle seine Werken beherrschen sollte: Szenen des Kaufmannslebens, Frauen in bunten Kleidern und vor allem Volksfeste.

Für eine Weile arbeitete er dann in der politischen Satire-Zeitschrift „Schupel“ (deutsch Schreckgespenst). Seine Zeichnung "Schupel der Revolution" (1906) zeigt ein riesiges rotes Skelett, das durch die Stadt läuft und auf Gebäude und Leichen tritt. Dieses Gemälde zeigt wohl Kustodijews Meinung über die erste russische Revolution von 1905.

Kustodijews Werke wurden positiv angenommen und als Maler wurde er immer gefragter. 1909 wurde im angeboten, Walentin Serow als Lehrer an der Moskauer Kunsthochschule zu vertreten. Aber Kustodijew lehnte ab, weil er fürchtete, dass diese Tätigkeit zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Außerdem wollte er nicht nach Moskau umziehen.

Zusammen mit Nikolai Roerich, Leo Bakst und vielen anderen war Kustodijew Mitglied der Kunstbewegung "Mir Iskusstwa" (deutsch „Welt der Kunst“), die seit den späten 1890er Jahren bis 1924 existierte und auch für die Produktion des "Ballets Russes" von Sergei Djagilew bekannt wurde. Die Künstler betrachteten die altrussische Kultur als eine ihrer Inspirationsquellen.

Zusammen mit seinen „Mir-Iskusstwa“-Kollegen entwarf Kustodijew dann auch Bühnendekorationen für Theaterstücke. Bis dato nutzten alle russischen Theater Standardkulissen und Kostüme für ihre Aufführungen.

Kustodijews Gemälde zeigen das Leben in der russischen Provinz wie in den russischen Märchen. Seine ersten Versuche in dieser Richtung machte er noch in der Porträtmalerei. Das beweisen zum Beispiel die Darstellungen des berühmten Sängers Feodor Schaljapin oder des Zaren Nikolai II. sowie Kustodijews eigene Selbstporträts.

Kustodijew illustrierte auch literarische Werke von Nikolai Gogol, Michail Lermontow, Lew Tolstoi und anderen.

Seit 1909 litt Kustodijew jedoch an einem Tumor im Rückenmark. Trotz mehrerer Operationen musste er den Rest seines Lebens im Rollstuhl sitzen. 15 Jahre lang malte Kustodijew trotz der Krankheit weiter. Seine farbenprächtigsten Werke stammen aus eben jener Zeit.

Da er 1917 schon gelähmt war und zu Hause bleiben musste, konnte Kustodijew die revolutionären Ereignisse nicht miterleben. Sein berühmtes Ölgemälde "Der Bolschewik" (1920) war seine Reaktion und Interpretation der Ereignisse aus der Ferne. Das Bild des massiven Proletariers mit roter Fahne in der Hand, ist jedoch mehrdeutig. Während die sowjetische Regierung Kustodijews Werk als eine Bestätigung ihrer Ideologie ansah, erinnert es doch eigentlich viel mehr an Kustodijews frühen "Schupel der Revolution" und dessen kritische Aussage.

>>>Russische Avantgarde: Kunst im Dienst der Revolution