Vom Schicksal gebeutelt: Fünf tragische Epochen der russischen Geschichte

Emmanuil Jewserichin/МАММ/МDF/russiainphoto.ru
Die russische Geschichte ist reich an tragischen Ereignissen. Einige haben ganze Epochen geprägt. Diese fünf hatten besonders nachhaltige Folgen.

1. Die mongolische Invasion 

Im frühen 13. Jahrhundert sandte Dschingis Khan, der allmächtige Herrscher des mongolischen Reiches, seine Söhne aus, um die nördlichen Länder zu erobern. 1223 trafen die Mongolen zum ersten Mal in der Schlacht von Kalka auf die Soldaten russischer Fürsten und zerschmetterten sie. Im Jahr 1236, nach Dschingis Khans Tod, führte sein Enkel Batu Khan einen verheerenden Angriff auf die russischen Länder. Fünf Jahre lang herrschten nun Terror und Zerstörung. 

Die Mongolen brannten Dörfer und Städte nieder, plünderten die Felder und stahlen ganze Viehherden. Die mongolische Invasion zerstörte die russischen Fürstentümer und Städte. Die Kultur der vormongolischen Rus wurde fast vollständig vernichtet. Kiew, Rostow, Galitsch, Tschernigow, Rjasan und andere Zentren der Rus wurden dem Erdboden gleichgemacht. Kiew, das von den Mongolen kontrolliert wurde, verlor die Bedeutung als wichtigste russische Stadt. Wladimir-Susdal wurde das neue politische Zentrum. Die russischen Länder brauchten mehr als hundert Jahre, um sich nach der verheerenden Invasion zu erholen.

2. Die Zeit der Wirren 

„Der Aufruf von Minin an das Volk von Nischni Nowgorod“ von Konstantin Makowski, 1896

Diese dunkle Zeit war eine Kombination aus unglücklichen Umständen, Krieg und schlechter Politik. Die Zeit der Wirren umfasste 15 Jahre, von 1598 bis 1613, doch die Folgen waren bis in die 1640er Jahre spürbar. Auslöser war unter anderem das Ende der Rjurikiden-Dynastie. Fjodor (1557-1598), der Sohn von Iwan dem Schrecklichen, hatte keine Kinder und sein jüngster Sohn, Dmitri von Uglitsch (1582-1591), starb unter mysteriösen Umständen. Es gab keinen rechtmäßigen Thronfolger. Schließlich bestieg Boris Godunow, der Bruder von Zar Fjodors Gemahlin, den Thron. 

In den letzten Jahren von Iwan dem Schrecklichen und der Regierungszeit von Fjodor entstand die Leibeigenschaft. In den Jahren 1601 bis 1603 traf eine große Hungersnot die Russen. 

Eine große Zahl von Bauern floh vor ihren Herren und zog plündernd durch Straßen und Wälder. Es kam zu Bauernaufständen. Im Jahr 1605 starb Boris Godunow und der Falsche Dmitri (gestorben 1606) ergriff die Macht im Land. Der Hochstapler, der vorgegeben hatte, Dmitri von Uglitsch zu sein, wurde bald getötet. Die Zeit der Wirren erlebte ihren Höhepunkt. 

Ein Bauernkrieg tobte im ganzen Land, auf dem Zarenthron saß, gegen den Willen des Volkes, Wassili Schuiski, ein weiterer angeblicher Dmitri trat auf den Plan…  Dann fiel auch noch die polnisch-litauische Union in Russland ein und eroberte Moskau. Erst in den Jahren 1612/1613, nach einem Jahrzehnt des Chaos, entstand ein russisches Freiwilligen-Heer, das es schaffte, die Polen aus dem Moskauer Kreml zu verdrängen. Kusma Minin und Fürst Dmitri Poscharski kommandierten dieses Freiwilligen-Heer und stellten die Monarchie in Russland wieder her. Nun stellten die Romanows die russischen Herrscher. In der Zeit der Wirren wurde die russische Bevölkerung um ein Viertel dezimiert. 

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3. Die Pestepidemie von 1653/1654

„Pestaufstand“ von Ernst Lissner

1653 leitete Patriarch Nikon eine umstrittene Kirchenreform ein, auf die einige „apokalyptische“ Ereignisse folgten: 1654 traf eine Pestepidemie Zentralrussland. Es war das erste Mal, dass die Russen einer Massenerkrankung ausgesetzt waren. Zar Alexei Michailowitsch, die höchsten Militärführer und die Armee überlebten mehr zufällig - sie befanden sich alle im Krieg gegen die polnisch-litauische Union. Die Familie des Zaren wurde umgehend aus Moskau evakuiert. 

Moskau war verlassen - der größte Teil der Bevölkerung war geflohen oder an der Pest gestorben. Die geflohenen Moskowiter verbreiteten die Pest in anderen zentralrussischen Städten. Historiker schätzen, dass zwischen 1653 und 1654 bis zu 800.000 Menschen gestorben sind. 

Am 12. August 1654 ereignete sich zudem eine totale Sonnenfinsternis. Das galt als schlechtes Omen. Auch nach dem Ende der Pestepidemie litten die Russen immer noch unter den Folgen wie Hungersnot und schlechter Wirtschaft.

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4. Drei Revolutionen, Erster Weltkrieg und Bürgerkrieg 

Dass die Regierungszeit von Nikolaus II. mit der Tragödie auf dem Feld von Chodinka begann, betrachteten ebenfalls viele Menschen als schlechtes Omen. Nikolaus‘ unergründliche Politik führte ihn 1905 zum Krieg gegen Japan, dessen Ausgang die erste russische Revolution von 1905 provozierte. In der Folge veränderte sich das politische System in Russland. Das erste Parlament entstand. 

Der Erste Weltkrieg, auf den die russische kaiserliche Armee völlig unvorbereitet war, löste die Revolution vom Februar 1917 aus, gefolgt von der Oktoberrevolution von 1917, die die Bolschewiki an die Macht brachte. Danach entstanden völlig neue staatliche Strukturen. 

Russland, dessen Bevölkerung zwischen Befürwortern des bolschewistischen und des monarchistischen Regimes gespalten war, stürzte ins Chaos. Beim Bürgerkrieg (1917-1923), kamen etwa 11 Millionen Menschen ums Leben, weitere zwei Millionen flohen aus dem Land. Das Bruttoinlandsprodukt ging um das Fünffache zurück. Die Situation wurde durch den Ausbruch von Infektionskrankheiten verschärft. In den Jahren 1918 bis 1920 erkrankten etwa 25 Millionen Menschen an Typhus, es kam zu Ausbrüchen von Cholera und Ruhr. Das Land war auch von der Pandemie der Spanischen Grippe im Jahr 1918 betroffen. In den Jahren 1921/1922 kam es erneut zu einer großen Hungersnot.  

Noch schlimmer war, dass im Land zahllose obdachlose Waisenkinder lebten. Das war ein Nährboden für Kriminalität, die in den 1920er und 1930er Jahren explodierte. 

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5. Das Stalin-Regime und der Zweite Weltkrieg 

Die Regierung unter Stalin begann mit der Massenkollektivierung des Agrarsektors (1928-1940). Bauernhöfe und Grundstücke wurden in staatlich kontrollierte Kollektivbetriebe umgewandelt. Die Bauern lehnten diese Politik zunächst ab. Es gab Tausende kleiner und großer Bauernaufstände - aber die Regierung setzte unmenschliche repressive Methoden ein, um diese niederzuschlagen. Unruhestifter wurden deportiert und in Arbeitslager geschickt, und die Anführer der Aufständischen wurden hingerichtet. Historiker sagen, dass die Kollektivierung etwa zehn Millionen Menschen das Leben gekostet hat.

Die Kollektivierung führte zwischen 1932 und 1933 zu einer weiteren Hungersnot, die nicht nur Russland, sondern auch Kasachstan, die Ukraine und den Nordkaukasus betraf und etwa elf Millionen Menschen tötete. 

Die Industrialisierung der sowjetischen Wirtschaft und die Produktion, die durch „Fünfjahrespläne“ vorangetrieben wurde, war in vollem Gange, was zu einer weiteren Welle von Repressionen gegen Bauern und Arbeiter führte. Die Behörde Gulag, diese Abkürzung übersetzt bedeutet „Hauptverwaltung der Besserungsarbeitslager und -kolonien”, entstand 1930. Bis zu 40 Millionen Menschen wurden auf die eine oder andere Weise in der Zeit der Repressionen hingerichtet, inhaftiert und misshandelt. Das Gesicht der russischen Nation veränderte sich in den 1930er Jahren für immer. Und dann kam der Zweite Weltkrieg.

Es ist eine traurige Wahrheit, dass die UdSSR ohne Stalins Kollektivierungs- und Industrialisierungspolitik kaum eine Chance gehabt hätte, dem Ansturm der Wehrmacht standzuhalten, aber es ist auch offensichtlich, dass der Zweite Weltkrieg einen weiteren ungeheuren Tribut forderte - mehr als 26 Millionen Menschen starben. Nach all den Katastrophen, die das Land in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlitten hatte, gelang es den Russen schließlich, den Staat aufzubauen, in dem sie jetzt leben.

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